ZRI 2022, 880

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 2699-0490 Zeitschrift für Restrukturierung und Insolvenz ZRI 2022 Dokumentation 

Stellungnahmen zum Entwurf einer Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zur Ergänzung des Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung des Güterrechtsregisters (BT-Drucks. 20/2730) und zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (SanInsKG): Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes

Das in § 1558 Abs. 1 BGB und § 377 Abs. 3 FamFG rudimentär geregelte Güterrechtsregister wurde wegen seiner fehlenden praktischen Bedeutung funktionslos. Der in BT-Drucks. 20/2730 abgedruckte Regierungsentwurf vom 20. 7. 2022 setzt die in der Literatur erhobene Forderung nach seiner Abschaffung um (dazu Prütting/Helms/Holzer, FamFG, vor §§ 374 – 409 Rz. 48, § 377 Rz. 6). Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt soll der Gesetzentwurf um eine Formulierungshilfe ersetzt werden, mit der Gegenstände aus dem Maßnahmenpaket des Bundes zur Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung und zur Stärkung der Einkommen einer Regelung zugeführt werden sollen. Die folgende Dokumentation enthält die hierzu ergangenen Stellungnahmen des Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e. V. (VID) sowie des Deutschen Anwaltvereins (DAV).

Teil 1: Stellungnahme des VID

A. Einleitung

Der vorliegende Entwurf dient der Umsetzung des insolvenzrechtlichen Auftrags aus dem Maßnahmenpaket des Bundes zur Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung und zur Stärkung der Einkommen vom 3. September 2022. Danach sollen auch „Unternehmen, die im Kern gesund und auch langfristig unter den geänderten Rahmenbedingungen überlebensfähig sind, (…) ihre Geschäftsmodelle anpassen können.“1 „Daher wird“, so das Ergebnis des Koalitionsausschusses weiter, „für Erleichterungen bei der Insolvenzantragspflicht gesorgt.“
Die vorgesehenen Erleichterungen bei der Insolvenzantragspflicht sollen mit einer Änderung des § 4 COVInsAG einhergehen und sehen neben einer vorübergehenden Verkürzung des Prognosezeitraums für die Überschuldungsprüfung auch eine vorübergehende Verkürzung der Planungszeiträume für Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanungen sowie eine vorübergehende Hochsetzung der Höchstfrist für die Insolvenzantragstellung wegen Überschuldung vor.

B. Im Einzelnen

1. Zu Nummer 1 (neue Bezeichnung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes)

a) Künftige Abmilderung von Krisenfolgen

Die Umsetzung des insolvenzrechtlichen Auftrages, die an eine Änderung des COVInsAG anknüpft, sieht zugleich eine neue Bezeichnung des Gesetzes vor (künftig: Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (SanInsKG)).
Die neue Bezeichnung soll ausweislich der Entwurfsbegründung erkennbar werden lassen, dass das Gesetz zukünftig nicht mehr ausschließlich Bestimmungen zu den Abmilderungen der Folgen der COVID-19-Pandemie enthalten wird.2 Dies zeigt, dass das bisherige COVInsAG nun als Nukleus eines Gesetzes zur insolvenzrechtlichen Abmilderung von Krisenfolgen dienen soll.
Eine Definition der Krise, an die die mit dem Entwurf geplanten Folgen anknüpfen, enthält der Entwurf nicht. In der Entwurfsbegründung zur vorübergehenden Verkürzung des Prognosezeitraums für die Überschuldungsprüfung finden sich jedoch einzelne Hinweise. Danach verzichtet der Entwurf darauf, „(…) den ZRI 2022, 881Anwendungsbereich der Vorschrift an eine entsprechende Voraussetzung zu binden, insbesondere ein Kausalitätserfordernis einzuführen, das die Prognoseunsicherheiten auf die Entwicklungen an den Energiemärkten rückbezieht.“, da von den derzeitigen Verhältnissen mehr oder weniger alle Wirtschaftsteilnehmer zumindest mittelbar betroffen sind.3 Auch lassen sich Fortführungsprognosen „(…) angesichts der derzeitigen Preisvolatilitäten und der auf absehbare Zeit weiterhin bestehenden Unsicherheiten über Art, Ausmaß und Dauer des eingetretenen Krisenzustands oft nur auf unsichere Annahmen stützen. (…) Das betrifft insbesondere auch Unternehmen, deren Bestandsfähigkeit unter normalen Umständen, das heißt bei Hinwegdenken der derzeitigen Preisvolatilitäten und Unsicherheiten außer Zweifel stünde.“4
Anders als bei der COVID-19-Pandemie und den bisherigen Regelungen des COVInsAG (Insolvenzreife aufgrund der Pandemie) wird keine individuelle Betroffenheit definiert. Dies führt dazu, dass die neuen Regelungen nicht nur dann anwendbar sind, wenn eine Überschuldung – im Sinn der bisherigen Definition – monokausal durch die erheblichen Energiepreissteigerungen ausgelöst würde, sondern auch dann eingreifen, wenn sonstige Krisenursachen vorliegen. Das können nicht nur exogene Ursachen sein wie Inflation, unterbrochene Lieferketten oder Fachkräftemangel oder ein „Krisenbündel“ daraus, sondern auch „normale“ Krisenursachen, wie Missmanagement, ein überkommenes Geschäftsmodell, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, etc.
Mit dieser Konsequenz ist die vorgeschlagene Regelung auch wettbewerbsrelevant. Umsichtige und vorausschauende Unternehmen, die im Rahmen der Möglichkeiten Vorsorge betrieben haben, können nicht von den Ergebnissen der Vorsorge profitieren. Marktaustritte schwächerer Konkurrenten werden verhindert. Eine enge Befristung der geplanten Regelung ist deshalb notwendig, um die negativen Folgen für den Wettbewerb so gering wie möglich zu halten.

b) Aktuelle Entwicklungen

Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass aufgrund der hohen Energiepreise bereits weitergehende Forderungen nach einer erneuten Aussetzung der Insolvenzantragspflicht erhoben werden.5
Diese Entwicklung ist sehr problematisch, weil die Eingriffe ins Insolvenzrecht – entgegen früherer Praxis – nunmehr auch ohne gezielte Hilfszusagen diskutiert werden. Ohne solche Hilfszusagen wurde bisher aus gutem Grund eine Erleichterung der Insolvenzantragspflichten abgelehnt, weil sie die betroffenen Unternehmen in einen hilflosen Zustand versetzt hätte. Energie, Rohstoffe und Arbeitsleistungen könnten bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit regelmäßig nicht mehr bezahlt werden. Energieversorger und andere Lieferanten stellen auf Vorkasse um und liefern nur noch gegen Vorauszahlung. Ohne Energie und Zulieferungen kommt die Produktion zum Erliegen und Arbeitnehmer können nicht mehr bezahlt werden. Staatliche Hilfsmaßnahmen müssen in dieser Situation gezielt bei den betroffenen Unternehmen ansetzen. Eine Pflicht zur Weiterlieferung von Energie oder Rohstoffen würde ansonsten die verpflichteten Lieferanten in Insolvenzgefahr bringen. Gleichzeitig dürfen die Hilfszusagen aber schon wegen der Vorgaben des Beihilferechts nicht nach dem „Gießkannenprinzip“ ausgereicht werden. Vor der entsprechenden Definition der Empfänger und ihrer Kriterien verbietet sich deshalb eine Aussetzung von Insolvenzantragspflichten.

2. Zu Nummer 2 (Änderung des § 4 COVInsAG)

a) Vorübergehende Verkürzung des Prognosezeitraums für die Überschuldungsprüfung (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SanInsKG-E)

Der Entwurf sieht eine Abmilderung der Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung (§§ 15a, 19 InsO) vor. Der maßgebliche Prognosezeitraum soll danach bis zum 31. Dezember 2023 von derzeit zwölf Monaten auf vier Monate herabgesetzt werden, wobei die Regelung auch gelten soll, wenn vor dem Inkrafttreten bereits eine Überschuldung vorlag, sofern der für eine rechtzeitige Insolvenzantragstellung maßgebliche Zeitpunkt noch nicht verstrichen ist.
Die Bedeutung des Insolvenzgrundes der Überschuldung ist nicht zu unterschätzen. Derzeit sichert er bei Rechtssubjekten mit beschränkten Haftungsmassen die Geschäftspartner dahingehend ab, dass die Insolvenz – wenn der Antragspflicht nachgekommen wird, was nicht immer der Fall ist – nicht erst bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit beantragt wird, sondern dann, wenn absehbar ist, dass diese Rechtssubjekte innerhalb der nächsten – zurzeit – zwölf Monate zahlungsunfähig werden und das Vermögen die Schulden nicht deckt.

aa) Verkürzung des Prognosezeitraums

Die Verkürzung des Prognosezeitraums von derzeit zwölf auf vier Monate ist vor dem Hintergrund des Gläubigerschutzes grundsätzlich kritisch, im Hinblick auf die aktuelle Energiekrise jedoch als vertretbar anzusehen.
Problematisch stellt sich jedoch das unter B.1.a) bereits beschriebene Fehlen des Kausalitätserfordernisses dar. Das in der Entwurfsbegründung angesprochene Hinwegdenken der derzeitigen Preisvolatilitäten und Unsicherheiten6 im Hinblick auf die Beurteilung der Bestandsfähigkeit unter normalen Umständen ist bei multikausalen Ursachen nur schwer möglich.
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bb) Aktive Darlegung durch den Schuldner

Im Hinblick auf die Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 2 SanInsKG-E („es sei denn“) sollte ergänzend aufgenommen werden, dass der Schuldner aktiv zur Darlegung der ihn begünstigenden Umstände verpflichtet ist. So können die Fälle leichter separiert werden, in denen das schuldnerische Unternehmen bereits länger als sechs – künftig acht – Wochen überschuldet ist.

cc) Lesart des verkürzten Prognosezeitraums

Ausweislich der Entwurfsbegründung sollen die Regelungen „(…) den derzeitigen und auf absehbare Zeit fortbestehenden Prognoseunsicherheiten Rechnung tragen und deshalb nur vorübergehend gelten. Da sich einerseits nicht absehen lässt, wie lange die derzeitigen Unsicherheiten fortdauern werden, und da andererseits vermieden werden soll, dass der Geltungszeitraum zu kurz bemessen wird und insoweit wieder Unsicherheiten erzeugt, sollen die Regelungen bis zum 31. Dezember 2023 gelten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regelungen schon vor dem Ablauf der Geltungsdauer einen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit einbüßen können. Denn wenn für ein Unternehmen weniger als vier Monate vor dem Ablauf der Geltungsdauer feststeht, dass es unmittelbar nach dem Ablauf dieser Geltungsdauer unter dem dann wieder maßgeblichen Überschuldungsbegriff des § 19 InsO überschuldet sein wird, kann dieser Befund auch für die unter § 4 Absatz 2 zu erstellende Fortführungsprognose relevant sein.“7
Die Begründung wirft die Frage der Lesart der genannten Zeiträume auf. Wenn die Regelungen schon vor dem Ablauf der Geltungsdauer einen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit einbüßen können, kommen durchaus unterschiedliche Betrachtungsweisen in Frage (Variante 1: bereits ab 12/2022 ist wieder der 12-Monats-Zeitraum relevant; Variante 2: bereits ab 09/2023 ist wieder der 12-Monats-Zeitraum relevant; Variante 3: erst ab 31. 12. 2023 ist der 12-Monats-Zeitraum wieder relevant).
Wir gehen davon aus, dass im Hinblick auf den Zweck des Gesetzes § 4 Abs. 2 Satz 1 SanInsKG-E so zu lesen ist, dass erst ab 31. 12. 2023 wieder der 12-Monats-Zeitraum zu betrachten ist. Eine entsprechende Klarstellung in der Begründung wäre hilfreich.

dd) Verpflichtung zur fortlaufenden Prognoserechnung

Zudem sollte, in Anlehnung an die fortlaufende Überwachungspflicht im StaRUG,8 im Gesetz aufgenommen werden, dass der Geschäftsleiter eine fortlaufende Prognoserechnung für die jeweils folgenden vier Monate zu führen hat, die Erleichterung mithin nur dann zur Anwendung kommt, wenn eine entsprechende Dokumentation vorliegt.

b) Vorübergehende Verkürzung der Planungszeiträume für Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanungen (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 SanInsKG-E)

Die maßgeblichen Planungszeiträume für die Erstellung von Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanungen (§ 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO, § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) sollen bis zum 31. Dezember 2023 von derzeit sechs auf vier Monate verkürzt werden.
Die Entwurfsbegründung knüpft daran an, dass auch von Schuldnern, die ihr Unternehmen im Rahmen eines Eigenverwaltungsverfahrens sanieren wollen, Prognosen und Finanzpläne zu erstellen sind.9 „Kann“, so die Begründung weiter, „eine entsprechende Planung nicht vorgelegt werden, ist die Durchführung eines Eigenverwaltungsvorhabens zwar nicht ausgeschlossen, jedoch an die Voraussetzung gebunden, dass dennoch davon ausgegangen werden kann, dass die Durchführung des Vorhabens im Interesse der Gläubiger liegt (§ 270b Absatz 2 InsO).“10
Es bleibt unklar, weshalb auch die Frist des § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO verkürzt wird, geht es dabei doch darum, erfolgreich ein Eigenverwaltungsverfahren zu absolvieren. Hintergrund der Einführung der Eigenverwaltung war die, sowohl im Hinblick auf Zeit und Kosten als auch die zu erwartende Quote für Gläubiger, angestrebte Optimierung des Insolvenzverfahrens.11
Angesichts des dreimonatigen Insolvenzgeldzeitraums halten wir eine Verkürzung des Planungszeitraums auf vier Monate für kritisch, aber vertretbar. Wenn eine derartige Verkürzung vorgenommen wird, muss sichergestellt sein, dass die Planung sich nicht nur auf den Vier-Monats-Zeitraum beschränkt, sondern entweder eine Revolvierung bei fortlaufender Eigenverwaltung oder aber eine zu dokumentierende Überprüfung einen Monat vor Ablauf des Vier-Monats-Zeitraums eingeführt wird. Andernfalls kann die Eigenverwaltung dann sehr plötzlich nicht mehr möglich, weil nicht mehr finanzierbar sein. Die Auswirkungen eines plötzlichen Verfahrenswechsels sind für die Insolvenzverfahren häufig nicht förderlich.

c) Vorübergehende Hochsetzung der Höchstfrist für die Insolvenzantragstellung wegen Überschuldung (§ 4a SanInsKG-E)

Die Höchstfrist für die Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung soll bis zum 31. 12. 2023 von derzeit sechs auf acht Wochen hochgesetzt werden.
Ausweislich der Entwurfsbegründung soll durch die vorgesehene temporäre Verlängerung dem Umstand Rechnung getragen werden, dass „(…) die aktuelle Situation und die damit einhergehenden Planungsunsicherheiten dazu führen können, dass für Sanierungsbemühungen sowie die Vorbereitung einer Sanierung im präventiven Restrukturierungsrahmen oder auf der Grundlage eines Eigenverwaltungsverfahrens mehr Zeit erforderlich sein kann.“12
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Die Überlegung, dass Sanierungsbemühungen in schwierigem Planungsumfeld mehr als sechs Wochen in Anspruch nehmen können, ist nicht unplausibel. Allerdings ist es nicht ungewöhnlich, sondern eher die Regel, dass sich Unternehmen im fortgeschrittenen Krisenzustand in einem schwierigen Planungsumfeld befinden. Planungsunsicherheiten eignen sich daher nur bedingt als Argument für eine Sonderbehandlung der aktuellen Situation.

3. Vorschläge des VID zu geplanten staatlichen Hilfen

a) Staatliche Hilfsprogramme auch für Unternehmen, die in einem Insolvenz- oder Eigenverwaltungsverfahren saniert werden können

Staatliche Hilfsprogramme sollten – anders als die staatlichen Hilfen in der COVID-19-Pandemie – auch den Unternehmen zur Verfügung stehen, die in einem Insolvenz- oder Eigenverwaltungsverfahren saniert werden können. Maßgeblich für die Bewilligung von staatlichen Hilfen muss die Sanierungsfähigkeit eines Unternehmens sein, nicht, auf welchem Weg die Sanierung erfolgt. So stellt das deutsche Insolvenz- und Restrukturierungsrecht heute eine Vielzahl von Instrumenten für die schnelle Anpassung von Geschäftsmodellen zur Verfügung.

b) Rechtsunsicherheiten zur (Un-) Pfändbarkeit staatlicher Hilfen vorbeugen

Die aktuellen Rechtsunsicherheiten bei der Beurteilung der Frage der Pfändbarkeit der Energiepreispauschale13 und mit ihr der Verwertung im Insolvenzverfahren zeigen, dass es bei (künftigen) Hilfsmaßnahmen des Bundes zwingend einer gesetzlichen Regelung zur Frage der Pfändbarkeit einer Leistung bedarf, soll der Zweck derselben nicht verfehlt werden.

C. Fazit

1. Um negative Folgen für den Wettbewerb möglichst gering zu halten, ist eine enge Befristung der vorgeschlagenen pauschalen Verkürzung von Prognosezeiträumen notwendig.
2. Eine weitergehende Aussetzung von Insolvenzantragspflichten ohne begleitende, konkrete Hilfszusagen an die Unternehmen, die im Kern gesund und auch langfristig überlebensfähig sind, sollte auf jeden Fall vermieden werden.
3. Eine Verkürzung des Planungszeitraums gem. § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO halten wir für kritisch, aber vertretbar. Im Rahmen der Eigenverwaltung sollte die vorgeschlagene Verkürzung des Planungszeitraums zu einer kritischen Überprüfung dieser Verfahrensvariante führen. Jedenfalls muss die Planung über den Viermonatszeitraum hinaus revolvierend angepasst werden.
4. Staatliche Hilfen sollten in der sich abzeichnenden Krisensituation auch solchen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden können, die in einem Insolvenzverfahren eine Fortführungsperspektive entwickeln und sanierungsfähig sind.
Berlin, 21. 9. 2022

Teil 2: Stellungnahme des DAV – Ausschuss für Insolvenzrecht

Stellungnahme Nr.: 54/2022
Berlin, im September 2022
Der vorgesehene Änderungsantrag der Fraktionen der SPD, von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 20/2730 – Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung des Güterrechtsregisters mit der Zielsetzung der Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes (nachfolgend: Antrag) sieht als Reaktion auf die derzeitigen Verhältnisse und Entwicklungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten zeitlich begrenzt bis zum 31. 12. 2023 Anpassungen der Regelungen von Insolvenzordnung (InsO) und Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) auf drei Ebenen vor:
1. Verkürzung des Prognosezeitraum im Rahmen der Überschuldungsprüfung auf vier Monate;
2. Verkürzung des Planungshorizonts im Rahmen des bei Beantragung eines Eigenverwaltungsverfahrens nach InsO oder bei Antrag auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung nach StaRUG vorzulegenden Finanzplans auf vier Monate
3. Verlängerung der Höchstfrist zur Stellung eines Insolvenzantrags bei Überschuldung auf acht Wochen.

Zu den Maßnahmen im Einzelnen:

1. Verkürzung des Prognosezeitraums im Rahmen der Überschuldungsprüfung auf vier Monate

Die Verkürzung des Prognosezeitraums im Rahmen der Überschuldungsprüfung auf vier Monate stellt eine gewisse Begrenzung im Rahmen der (strafbewehrten) Verpflichtung zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens durch die Geschäftsleitung eines Unternehmens dar. Insoweit mag die in der Begründung des Antrags angeführte Einschätzung zutreffen, dass die derzeitigen Verhältnisse und Entwicklungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten eine vorausschauende Planung erschweren. Von dieser Prämisse ausgehend unterstützt der Deutsche Anwaltverein den Verzicht auf ein Kausalitätserfordernis zwischen den Entwicklungen an den Energiemärkten und der Prognoseunsicherheit auf der Ebene des jeweiligen Unternehmens zu Gunsten einer generellen und damit rechtssichereren Anwendbarkeit der Sonderregelung.
Der Deutsche Anwaltverein unterstützt zugleich die Beschränkung der Anpassung auf den Insolvenzgrund der Überschuldung und die damit einhergehende Beibehaltung des Insolvenzgrundes der (eingetretenen) Zahlungsunfähigkeit als zwingenden Insolvenzgrund. Die praktische Erfahrung zeigt dabei, dass die weit überwiegende Zahl der Insolvenzverfahren auf Grund eingetretener Zahlungsunfähigkeit eröffnet wird und der Insolvenz-ZRI 2022, 884grund der Überschuldung eher in seltenen, wenn auch meist größeren Fällen praktisch relevant wird. Hieraus abzuleiten wäre auch gerade in der aktuellen Zeit die auch politisch unterstützte Schaffung eines stärkeren Bewusstseins wünschenswert, dass bei fehlender Fähigkeit zur Erfüllung der fälligen Verbindlichkeiten insolvenzrechtlich Handlungsbedarf besteht – und dass ein solches Handeln durch Stellen eines Insolvenzantrages ein verantwortungsvolles Handeln ist, das Chancen eröffnet.

2. Verkürzung des Planungshorizonts im Rahmen des bei Beantragung eines Eigenverwaltungsverfahrens nach InsO oder bei Antrag auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung nach StaRUG vorzulegenden Finanzplans auf vier Monate

Seit dem 1. Januar 2021 verlangt das deutsche Restrukturierungs- und Insolvenzrecht berechtigterweise von einem Geschäftsleiter, der die Sanierungswerkzeuge der InsO oder des StaRUG unter Eingriffen in die Rechtsstellung der Gläubiger aktiv nutzen will, die Vorlage einer Liquiditätsplanung in das angestrebte Verfahren hinein. Auch wenn diese Planung einen anderen Zweck als die Prognosebetrachtung im Rahmen der Überschuldungsprüfung erfüllt, werden doch beide in vergleichbarer Weise von der Vorhersehbarkeit der Entwicklungen im Prognosezeitraum beeinflusst. Während die konkret gewählte Dauer von vier Monaten in beiden Fällen daher nicht zwingend erscheint, ist die Verkürzung des Planungshorizonts zu begrüßen.
Der Deutsche Anwaltverein begrüßt insoweit insbesondere auch das mit dieser Maßnahme verbundene Signal an die Unternehmer, dass gerade auch in der aktuellen Situation mit besonders herausfordernden Rahmenbedingungen das geltende Restrukturierungs- und Insolvenzrecht zur Verfügung steht, um notwendige Anpassungsmaßnahmen vorzunehmen. Losgelöst von den derzeit akuten Folgen im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen in der Ukraine steht die deutsche Wirtschaft vor der Notwendigkeit von grundlegenden Anpassungen als Reaktion auf die Klimakrise, aber etwa auch die fortschreitende Digitalisierung. Für diese Transformation können gerade auch Unternehmen, die im Kern gesund und auch langfristig unter den geänderten Rahmenbedingungen überlebensfähig sind, kurzfristig zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten benötigen, die im Rahmen des Insolvenzverfahrens etwa mit der Möglichkeit der Beendigung von Vertragsverhältnissen nach §§ 103 ff. InsO zur Verfügung stehen.
Bei den letzten Reformen im Restrukturierungs- und Insolvenzrecht hat sich der Gesetzgeber von dem Gedanken leiten lassen, dass eine möglichst frühzeitig und nachhaltig durchgeführte Sanierung im Rahmen eines geregelten Verfahrens mit Gläubigerbeteiligung und Geltung des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes volkswirtschaftlich wünschenswert ist. Dieser Ansatz bleibt auch und gerade in Krisenzeiten richtig. Über den vorliegenden Ansatz hinaus sollte daher geprüft werden, wie Rahmenbedingungen für die Sanierung von Unternehmen mit zukunftsfähigen Geschäftsmodellen gerade auch in geordneten Verfahren nach der Insolvenzordnung verbessert werden können.

3. Verlängerung der Höchstfrist zur Stellung eines Insolvenzantrags bei Überschuldung auf acht Wochen

Die Höchstfrist für die Stellung eines Insolvenzantrages nach Eintritt einer Überschuldung im Sinne des § 19 InsO wurde erst mit dem Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFOG) zum 1. Januar 2021 von der zuvor einheitlich für Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung geltenden Dauer von drei Wochen auf sechs Wochen erhöht. Diese soll nun nochmals ausgedehnt werden. Insoweit erscheint nicht ganz klar, auf welcher Ebene die aktuelle Situation und die mit ihr einhergehenden Planungsunsicherheiten wie in der Begründung angeführt „dazu führen können, dass für Sanierungsbemühungen sowie für die Vorbereitung einer Sanierung im präventiven Restrukturierungsrahmen oder auf der Grundlage eines Eigenverwaltungsverfahrens mehr Zeit erforderlich sein kann.“
Soweit hier möglicherweise dem im Zusammenhang mit den Corona-Hilfsprogrammen aufgetretenen Problem entgegengewirkt werden soll, dass grundsätzlich bereitgestellte wirtschaftliche Unterstützungsleistungen konkret nicht zeitnah beantragt werden konnten, erscheint jedenfalls die Verlängerung um zwei Wochen hinnehmbar.
Für die Geschäftsleiter wird insoweit von Bedeutung sein zu beachten, dass es sich auch bei der 8-Wochen-Frist dann um eine Höchstfrist handelt, deren Ausschöpfen nur „ohne schuldhaftes Zögern“, also im Fall von Maßnahmen zur Beseitigung der Überschuldung zulässig ist. Gerade auch an diesem Punkte wird neben der eigentlichen gesetzlichen Regelung auch die Kommunikation in die Öffentlichkeit Bedeutung gewinnen, die den Geschäftsleitern keine falsche Sicherheit vermitteln sollte.

4. Geltungszeitraum

Insgesamt unterstützt der Deutsche Anwaltverein eine Linie von Politik und Gesetzgebung, die unternehmerische Verantwortung stärkt und dort unterstützt, wo diese von den handelnden Personen wahrgenommen wird. Dabei ist auch Rechtssicherheit ein wichtiger Faktor, weshalb der Deutsche Anwaltverein den von vornherein längeren Geltungszeitraum der geplanten Anpassungsregelungen bis zum 31. Dezember 2023 unterstützt. Zugleich spricht sich der Deutsche Anwaltverein aber dafür aus, dann auch bis dahin jedenfalls weiteren Bestrebungen zu widerstehen, die Einleitung von Insolvenzverfahren trotz Vorliegens eines Insolvenzgrundes zu vermeiden.
1
1)
Ergebnis des Koalitionsausschusses vom 3. September 2022, S. 11, abrufbar unter https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Sonstiges/20220903_Massnahmenpaket.pdf.
2
2)
Entwurfsbegründung, S. 3.
3
3)
Entwurfsbegründung, S. 4.
4
4)
Entwurfsbegründung, S. 3.
5
5)
SPD fordert Aussetzen der Insolvenzantragspflicht, abrufbar unter https://www.spiegel.de/wirtschaft/energiekrise-spd-fordert-aussetzen-der-insolvenzantragspflicht-a-b7f8f665-c983-4bf6-9fd8-b9b74bee93a2.
6
6)
Entwurfsbegründung, S. 3 „Das betrifft insbesondere auch Unternehmen, deren Bestandsfähigkeit unter normalen Umständen, das heißt bei Hinwegdenken der derzeitigen Preisvolatilitäten und Unsicherheiten außer Zweifel stünde.“
7
7)
Entwurfsbegründung, S. 5.
8
8)
§ 1 Abs. 1 StaRUG.
9
9)
Entwurfsbegründung, S. 4.
10
10)
Vgl. Fußn. 9.
11
11)
Fiebig, in: Hamb-KO, Vorb. zu §§ 270 ff. InsO Rz. 3.
12
12)
Entwurfsbegründung, S. 6.
13
13)
Vgl. Ahrens, NJW-Spezial 2022, 341 ff.; Wipperfürth, ZInsO 2022, 1665; Grote, InsbürO 2022, 337.

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