ZRI 2024, 227

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 2699-0490 Zeitschrift für Restrukturierung und Insolvenz ZRI 2024 Literatur

Thibaut, Konrad Friedrich, Über die Notwendigkeit neuer berufsrechtlicher Regelungen für Insolvenzverwalter,

1. Aufl., 2023, RWS Verlag, Beiträge zum Insolvenzrecht 68, 323 S., 78 €, ISBN 978-3-8145-1668-4
Diese Ende 2021 abgeschlossene Dissertation bewegt sich thematisch in einem nach wie vor höchst aktuellen Umfeld: Die Diskussionen rund um ein Zulassungs- und Berufsrecht für die „amtswegig“ bestellten Funktionsträger im Insolvenz- und Sanierungsrecht, wie es – auch nach dem Ergebnis dieser Untersuchung zur Reich-ZRI 2024, 228weite der Regelungsnotwendigkeit – eigentlich heißen müsste, befinden sich nach wie vor im Fluss. Um die Grundvoraussetzungen der diesbezüglichen Debatten überhaupt verstehen zu können und in ihnen zutreffend die jeweiligen, manchmal gänzlich gegensätzlichen, Argumentationen verorten zu können, ist zunächst eine Rückschau, wie die berufsrechtliche Debatte rund um die Insolvenzverwaltung überhaupt begonnen hat, erforderlich. Das leistet die Dissertation mit einem gründlichen und fulminanten Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des § 56 InsO und in vorkonkursliche Zeiten. Sodann wird das Berufsbild „des“ Insolvenzverwalters im Wandel der Zeiten vorgestellt und zutreffend damit die Grundlage gelegt zur Darstellung und kritischen Erörterung des – innerhalb der europäischen Insolvenzrechte einmaligen – Instituts der „richterlichen Vorauswahl-Listen“ und deren Vor- und Nachteilen.
Der Verfasser wertet dabei die sehr umfangreiche Literatur und Rechtsprechung zu den vorgenannten „Weichenstellungsfragen“ der berufsrechtlichen Thematik sorgfältig – und weit tiefer gehend als so manches „Gutachten“ zu diesen Fragen – aus und gelangt zum Zwischenergebnis, dass Insolvenzverwalter Teil der Funktionseinheit „Gericht/Verwalter“ in den jeweiligen konkreten Verfahren und aufgrund ihrer zur Verfahrensdurchführung notwendigen und unverzichtbaren Stellung gleichsam auf Zeit „Angehöriger“ des staatlichen Justizpersonals (Rz. 107 ff.) sind. Daraus leitet der Verfasser dann die erste eigene Grundsatzthese ab, dass die Vorauswahl-Listung ein selbstständiges, rein administratives Verfahren mit Außenwirkung gegenüber den betroffenen Prätendenten ist. Als System bedürfe es zur wirtschaftlichen Effizienz und verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgewähr de lege ferenda einer Überantwortung weg von einem Einzelrichterlistensystem hin zu einem verwaltungsrechtlichen Verfahren und/oder zumindest einem zentralisierten Verfahren (Rz. 500, 540). Der Verfasser stellt in diesem Zusammenhang insbesondere die unterschiedlichen Ansichten der Verbände der Insolvenz- und Sanierungsrechtler, der justiziellen Rechtsanwendern und der BRAK zu Umsetzungsmodalitäten dar. Sinnvollerweise zitiert er dabei Erstquellen in Form der direkten Verbandsstellungnahmen und nicht (nur) Sekundärliteratur in Form von Aufsätzen.
Der Verfasser leitet dann über zu seinem zweiten zentralen Ergebnis, nämlich dass bereits die staatliche Eröffnung gesetzlich und verfahrensrechtlich notwendiger amtswegiger Bestellungspositionen auch verfassungsrechtlich eine gesetzliche Regelung der Zulassung und des generalisierten, bundesweit vereinheitlichten, internetbasierten (Rz. 720), möglichen Zugangs zu diesen Bestellungspositionen erfordert (Rz. 547). Richtigerweise wird dies bereits aus der Existenz dieser Bestellungsfunktionen abgeleitet, nicht monokausal aus der – im Jahre 2004 noch vom BVerfG thematisierten – Frage, ob „Insolvenzverwaltung“ qua überwiegender Lebenshaltungserwirtschaftung für die Bestellungspersonen inzwischen ein „Beruf“ sei.
Einen Teil der Lösung will der Verfasser dann in einer Begründungspflicht der Einzelbestellungsentscheidung bei Schaffung einer zentralen Vorauswahl-Liste (oder eines Bundesverzeichnisses) sehen. Hierzu bietet er indes – wohl aufgrund mangelnder Vertrautheit mit der insolvenzgerichtlichen Praxis und der Vielzahl täglicher Bestellungsentscheidungen bei großen Insolvenzgerichten – keine belastbare Erläuterung, was bei den Eilverfahrensbestellungen im Eröffnungsverfahren in der Begründung (jenseits der wenigen Fälle bindender Gläubigerausschussvorschläge) darinstehen sollte außer Allgemeinplätzen wie „bewährter und erfahrener Verwalter“ oder „gut vertraut mit Ermittlungsverfahren“: Der Verfasser schichtet hier auch nicht die Problematik der stufenweisen Bestellung „erst Insolvenzsachverständiger“ , dann „vorläufiger Verwalter“, dann „Verwalter“ (mit Eröffnung) ab und thematisiert keinen Begründungszwang für die – bisher eindeutig nach derzeitiger Gesetzeslage nicht zu begründende – Sachverständigeneinsetzung jenseits § 4 InsO, § 404 ZPO. Er erläutert auch nicht, auf welcher insolvenzrechtlichen Verfahrensstufe eine Begründung erfolgen sollte und § 56a Abs. 3 Satz 1 InsO wird als gesetzgeberische ausdrückliche Entscheidung gegen eine generelle Begründungspflicht nicht thematisiert.
Richtigerweise erfasst das Werk aber mit seinem zweiten Begründungsansatz für ein zentralisiertes Verzeichnis die europarechtliche Ebene in Form der „EU-Dienstleistungsrichtline“ (Rz. 407), den viel wichtigeren Ansatz, dass Art. 26 der EU-Restrukturierungsrichtlinie eine transparente und faire Zugangsmöglichkeit zu insolvenzrechtsnahen Bestellungspositionen verlangt, konnte der Verfasser nur (noch) kurz erwähnen (Rz. 409) – wohl aus Zeitgründen, da 2021 die Richtlinie gerade erst in der Diskussion war. Etwas mehr in den Vordergrund hätte gerückt werden können das Problem, dass in Deutschland bisher auch jegliche Berufsordnung für diese Bestellungspersonen (Sachwalter/Verfahrenskoordinator, Insolvenzverwalter/Restrukturierungsbeauftragter (letzterer kommt wegen der Zeitbezuges noch zu kurz in der Darstellung!)) jenseits der Einzelaufsicht (§ 58 InsO, § 75 StaRUG) fehlt. Das jeweilige „Quellberufsrecht“ (i. d. R. die BRAO) verwirft der Verfasser völlig zu Recht als im Insolvenzbereich nicht anwendbar (Rz. 611). Mit letzterer Erkenntnis, wie auch der richtigen Verortung der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit eines zentralen, unabhängigen Bundesverzeichnisses, ist dann die Abschluss-„Lösung“ des Verfassers nicht so gut zu harmonisieren: die Absage an ein funktional organisiertes Verzeichnis über das Bundesamt für Justiz nebst eigenständiger Verkammerung der amtlich bestellten Personen zugunsten einer – alternativ vorgeschlagenen – rein anwaltlichen „Selbstverwaltung“ über ein BRAK-Verzeichnis (Rz. 625, 753 ff.). Diese Präferenz der Lösung mag aber der Ausrichtung des Doktorvaters vielleicht geschuldet sein.
Zusammenfassend sei gesagt: Die Arbeit bietet den derzeit umfassendsten und aktuellsten Überblick über eine der wichtigsten insolvenz- und sanierungsrechtlichen Fragen, nämlich das fehlende Berufsrecht der in diesen Bereichen gesetzlich zu bestellenden und notwendigen Funktionspersonen.
Frank Frind, Richter am AG (Insolvenz- und Restrukturierungsgericht), Hamburg

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