ZRI 2023, 796

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 2699-0490 Zeitschrift für Restrukturierung und Insolvenz ZRI 2023 Literatur

Watson, Alaric/Baister, Stephen, Bankruptcy: Law and Practice,

Edward Elgar Publishing, Cheltenham, UK/Northampton, MA/USA, 2023, XCV und 494 S., 195 €, ISBN: 978 1 80220 590 9
1. Das englische Recht unterscheidet innerhalb des Insolvency Act 1986 (IA 1986) terminologisch zwischen insolvency und bankruptcy. Ersteres bezeichnet die Insolvenz von Gesellschaften (corporate insolvency), letzteres die Individualinsolvenz (personal insolvency of individuals), wobei für natürliche Personen nicht zwischen Unternehmern und Verbrauchern unterschieden wird. Darin unterscheidet sich das englische vom u.s.-amerikanischen Recht, das alle Insolvenzverfahren unter dem Begriff bankruptcy zusammenfasst. In der englischen Literatur wird die Individualinsolvenz eher stiefmütterlich behandelt. Man konzentriert sich im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung ganz auf die Gesellschaftsinsolvenz. So findet sich beispielsweise zum Thema Individualinsolvenz in dem ansonsten hervorragenden großen Lehrbuch von Kristin van Zwieten (Goode on Principles of Corporate Insolvency Law, 5. Aufl., Sweet & Maxwell, London 2018) kein einziges Wort und der Verfasser hatte bei den Verhandlungen über sein Buch Corporate Insolvency Law (2. Aufl., Intersentia, Cambridge/Antwerp/Chicago 2023, in Vorbereitung) große Mühe, das Kapitel über die Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenz beim Verlag wenigstens als Exkurs durchzusetzen. Nur das große Werk von Ian Fletcher (The Law of Insolvency, 5. Aufl., Sweet & Maxwell, London 2017) behandelt das bankruptcy-Verfahren ausführlich.
Insofern schließt das hier anzuzeigende Werk eine Lücke. Es ist von zwei namhaften Experten geschrieben. Alaric Watson hat als Barrister langjährige Erfahrung auf diesem Gebiet und Stephen Baister ist allen mit der englischen Insolvenzrechtsszene Vertrauten als der ehemalige Chief Bankruptcy Registrar of the High Court (heute: Chief Insolvency and Companies Court Judge) bekannt, also derjenige, der die Insolvenzrechtsabteilung bei dem gemäß sec. 373, 374 IA 1986, r. 12.5 Insolvency Rules 2016 (IR 2016) für London zuständigen High Court leitet. Diese praktische Erfahrung hat die Qualität des Buches maßgeblich beeinflusst und rechtfertigt seinen Untertitel „Law and Practice“ durchaus.
2. Das Werk ist in drei Teile mit 22 Kapiteln gegliedert. Im 1. Teil findet sich ein erster Überblick, der von den historischen Wurzeln der Individualinsolvenz über deren Grundprinzipien und die einschlägigen Gesetze bis hin zu einem ersten Abriss des Verfahrens reicht. Im 2. Teil geht es um die Einleitung des Verfahrens, wobei die Zuständigkeit des Gerichts, der Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit, die Unterschiede zwischen Gläubiger- und Schuldneranträgen und die Wirkungen der bankruptcy order im Mittelpunkt stehen. Der 3. Teil befasst sich mit der Verwaltung der Insolvenzmasse. Das beginnt mit Ausführungen zu den für die Masse handelnden Verfahrensorganen (official receiver und trustee in bankruptcy), setzt sich fort mit der Beschreibung der Insolvenzmasse und adressiert dann in zwölf weiteren Kapiteln Einzelfragen, von denen hier nur die Insolvenzanfechtung (Kapitel 13), die Forderungsanmeldung und -feststellung (Kapitel 15) sowie die grenzüberschreitenden Aspekte (Kapitel 22) erwähnt werden sollen. Einige Kapitel sind Spezialfragen der Insolvenz natürlicher Personen gewidmet. So gibt es zum Beispiel je einen eigenen Abschnitt über die Wohnung des Schuldners (Kapitel 12) sowie über die familien- und arbeitsrechtlichen Konsequenzen (Kapitel 19).
3. Herausgegriffen werden sollen aus dieser Fundgrube lediglich zwei, im Hinblick auf den vielfach beklagten „Insolvenztourismus“ aus deutscher Sicht besonders interessante Aspekte.
a) „Insolvenztourismus“ betrifft die Restschuldbefreiung, in England discharge genannt, der das 17. Kapitel des vorliegenden Buches gewidmet ist. Sie ist in England besonders leicht zu erlangen, weil sie gemäß sec. 279 IA 1986 nach einer Verfahrensdauer von einem Jahr automatische Folge des Insolvenzverfahrens ist. Es bedarf also weder eines Beitrags des Schuldners zur Gläubigerbefriedigung durch Arbeitsleistung noch ergeht ein gerichtlicher Beschluss; das Gericht stellt allenfalls auf Antrag eine Bescheinigung über die Restschuldbefreiung aus (r. 10.144 IR 2016). Eine Wohlverhaltensperiode gibt es nur insoweit, als sich der Schuldner während dieses Jahres im Verfahren kooperativ verhalten muss. Tut er das nicht, kann die Frist gemäß sec. 279 Abs. 3 IA 1986 verlängert werden und es drohen in gravierenden Fällen sogar strafrechtliche Konsequenzen, wie uns der Fall Boris Becker eindrucksvoll gelehrt hat. Wie in Deutschland, so wird der Schuldner nicht von allen Schulden befreit. Unberührt bleiben gemäß sec. 281 IA 1986 vor allem die gesicherten und die meisten deliktischen Forderungen. Haftungsansprüche gegen Dritte, etwa gegen Bürgen, bleiben ebenfalls bestehen.
b) Ist also die Restschuldbefreiung in England deutlich leichter und schneller erreichbar als in Deutschland, stellt sich für „Insolvenztouristen“ die Frage nach der internationalen Zuständigkeit. Sie wird im vorliegenden Werk weniger im 22. Kapitel über das Internationale Insolvenzrecht als vielmehr in dem dieser Frage besonders gewidmeten 3. Kapitel behandelt. Die zentrale Norm ist sec. 265 IA 1986. Nach dieser Vorschrift ist die internationale Zuständigkeit begründet, wenn der Schuldner in England seinen COMI (centre of main interests), eine Niederlassung (bei COMI im Geltungsbereich der EuInsVO), einen Wohnsitz oder seinen ständigen Aufenthalt hat (oder in den letzten drei Jahren vor dem Insolvenzantrag hatte). Es ist etwas überraschend, dass das englische Recht auch nach dem Brexit noch an COMI und Niederlassung festhält und sich damit eng an den Regelungen der EuInsVO orientiert. Anders als bis zum 6. April 2016 (zu diesem Datum wurde sec. 265 IA 1986 geändert) genügt also die bloße Anwesenheit in England am Tag des Insolvenzantrages nicht mehr. Anerkennungsprobleme dürfte es daher in Deutschland im Hinblick auf § 343 Abs. 1 Satz 2 InsO nur dann geben, wenn die Zuständigkeit auf den ständigen Aufenthalt gestützt wurde, gemäß § 3 InsO aber die deutschen Gerichte zuständig wären.
4. Das Buch von Watson/Baister ist ein ausgesprochen nützliches Werk. Es stellt das englische Individualinsolvenzverfahren in allen Details und Facetten vor. Die englische Rechtsprechung – nachgewiesen in einem bei englischen Publikationen üblichen, hier 42-seitigen Entscheidungsregister – wird umfassend und anschaulich ausgewertet, während – wie in englischen Publikationen nicht unüblich – die Literatur, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, vollständig ignoriert wird. Es ist also kein wissenschaftliches, sondern ein für die Praxis geschriebenes, gleichwohl empfehlenswertes Produkt, das einen breiten Leserkreis verdient.
Prof. Dr. Reinhard Bork, Hamburg

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