ZRI 2023, 422

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 2699-0490 Zeitschrift für Restrukturierung und Insolvenz ZRI 2023 RechtsprechungInsolvenzrechtInsO §§ 270f, 270b, 270a, 270c, 34, 6; ZPO § 321aAblehnung eines Antrags auf Anordnung der Eigenverwaltung InsO§ 270f InsO§ 270b InsO§ 270a InsO§ 270c InsO§ 34 InsO§ 6 ZPO§ 321a AG Hamburg, Beschl. v. 01.04.2023 – 67h IN 13/23 (rechtskräftig)AG HamburgBeschl.1.4.202367h IN 13/23rechtskräftig

Leitsätze des Gerichts:

1. Der Antrag auf Eigenverwaltung kann wegen zwischenzeitlicher neuer Erkenntnisse des Insolvenzgerichts zur mangelnden Eigenverwaltungsplanung bei Verfahrenseröffnung abgelehnt werden.
2. Die Schuldnerin ist verpflichtet, in zeitlicher Nähe zum beabsichtigten Eröffnungstermin eine aktualisierte Finanzplanung vorzulegen und zu Verhandlungen mit ihrer (hier einzigen) Hauptgläubigerin und zu konkretisierten Sanierungsplanungen zu berichten, eine amtswegig ermittelte Zahlungsunfähigkeit mit möglichen organschaftlichen Haftungsfolgen ist gerichtlich in die Abwägungen einzustellen.

Gründe:

Mit Verfügung v. 29. 3. 2023 gewährte das Gericht – in Anbetracht des bereits vorgelegten Gutachtens des vorläufigen Sachwalters vom 28. 3. 2023 (dessen Bekanntsein bei der Schuldnerin bzw. ihren Verfahrensbevollmächtigten das Gericht voraussetzt) – rechtliches Gehör zur Absicht des Gerichts, mit Eröffnung keine Eigenverwaltung mehr anzuordnen (§ 270f Abs. 3 i. V. m. § 270b Abs. 4 InsO).
a) Eine fortgeschriebene Finanzplanung, die zumindest den Zeitraum von drei Monaten bis zum Eröffnungstag umfassen sollte i. S. v. § 270f Abs. 1 i. V. m. § 270b Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO, wurde von der Schuldnerin in zeitlicher Nähe zu dem der Schuldnerin bekannten Eröffnungstermin nicht vorgelegt. Eine solche ist indes notwendig (Brünkmans, in: HK-InsO, 11. Aufl., § 270f Rz. 10; Braun/Riggert, InsO, 9. Aufl., § 270f Rz. 3; HambKomm-Fiebig, InsO, 9. Aufl., § 270f Rz. 1). Mit dem Gericht wurde hinsichtlich dieser Anforderung keine Rücksprache in zeitlicher Nähe zur möglichen Verfahrenseröffnung genommen, um in Ansehung gegenteiliger (Minderheits-)Literaturansicht(en) (Ellers/Plaßmeier, in: Fridgen/Geiwitz/Göpfert, Insolvenzrecht, § 270f InsO Rz. 8) Klarheit über die hiesigen gerichtlichen Anforderungen zu erreichen.
b) Es liegen an der Erfüllung der Anforderung, dass die Schuldnerin die Gewähr bietet, die Interessen der Gläubiger gem. § 270b Abs. 2 InsO zu wahren, welche in Ansehung der Zahlungsrückstände im Eröffnungsverfahren gem. § 270b Abs. 2 Nr. 1 InsO relevant ist, Zweifel begründende Umstände vor (zur Prüfungsnotwendigkeit HambKomm-Fiebig, a. a. O., § 270f Rz. 6; Brünkmans, a. a. O., § 270f Rz. 11): Die Schuldnerin hat entgegen § 270a Abs. 1 Nr. 3 InsO den ZRI 2023, 423konkreten Sachstand der Verhandlungen mit ihrer (einzigen) Hauptgläubigerin dem Gericht nicht mitgeteilt.
Sie befindet sich mit dieser in einem gemäß dem Gutachten des vorläufigen Sachwalters in Ansehung der Absicht, einen Insolvenzplan auf Basis einer Zustimmungsersetzung dieser Hauptgläubigerin nach § 245 InsO vorzulegen, gesteigerten direkten Auseinandersetzungsverhältnis, welches gerichtliche Auseinandersetzungen nicht als unwahrscheinlich erscheinen lässt, weshalb die Übertragung des Verfahrens auf einen unabhängigen Insolvenzverwalter geeignet ist, in diese Auseinandersetzung „Ruhe“ und eine abwägende Verfahrensführung hineinzubringen.
Die Schuldnerin hat entgegen § 270c Abs. 2 InsO dem Gericht nicht mitgeteilt, dass sie von der ursprünglich im Insolvenzantrag avisierten Absicht, operativ leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen, Abstand genommen hat.
Gegen die Geschäftsführung der Schuldnerin erscheinen Haftungsansprüche i. S. v. § 270c Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht (mehr) unwahrscheinlich, da Überschuldung bereits im September 2022 und damit mehr als drei Monate vor Antragstellung eingetreten sein könnte.
An die bisherige Entscheidung zur Anordnung einer vorläufigen Eigenverwaltung ist das von Amts wegen erneut prüfende Gericht nicht gebunden (K. Schmidt/Undritz, InsO, 20. Aufl., § 270f Rz. 6). § 270c Abs. 5 InsO findet keine Anwendung, da gemäß dem vorgenannten Gutachten Zahlungsunfähigkeit vorliegt.
Mitgeteilt von Richter am AG Frank Frind, Hamburg

Anmerkung der Redaktion:

Die Schuldnerin legte unter dem 3. 4. 2023 gegen vorstehenden Beschluss sofortige Beschwerde ein. Mit Beschluss vom 4. 4. 2023 (ZRI 2023, 423 – nachstehend abgedruckt) hat das Insolvenzgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem LG Hamburg vorgelegt.

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