ZRI 2020, 328

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 2699-0490 Zeitschrift für Restrukturierung und Insolvenz ZRI 2020 Report 

Stellungnahme des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft – hier: § 39 Verbandssanktionengesetz-E (VerSanG-E)

Mit dem Vorschlag für ein Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten verbindet der o. g. Entwurf auch eine Maßgabe zur Verfolgung im Fall einer Insolvenz des Verbandes:
„§ 39 – Absehen von der Verfolgung bei Insolvenz
(1) Die Verfolgungsbehörde kann von der Verfolgung des Verbandes absehen, wenn über das Vermögen des Verbandes ein Insolvenzverfahren eröffnet oder ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist.
(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Verfolgungsbehörde das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.
(3) Wird das Insolvenzverfahren
1. nach § 212 oder § 213 der Insolvenzordnung eingestellt oder
2. nach § 258 der Insolvenzordnung aufgehoben und ist nicht inzwischen Verjährung eingetreten, so kann das Verfahren innerhalb von drei Monaten ab Wirksamwerden der Einstellung oder der Aufhebung wieder aufgenommen werden.
(4) Hat das Gericht das Verfahren eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.“
Zur Begründung (S. 117) führt der Referentenentwurf aus:
„Die Vorschrift schafft einen fakultativen Einstellungsgrund für den Fall der Insolvenz des Verbandes. Denn insbesondere in Fällen, in denen der Verband im Rahmen des Insolvenzverfahrens liquidiert wird, dürfte es regelmäßig nicht geboten sein, ein Verfahren gegen einen aufgelösten Rechtsträger, der demnächst vollbeendet wird und gegen den eine Sanktion voraussichtlich nicht mehr vollstreckt werden kann, durchzuführen. Die Situation kann sich vor dem Hintergrund der Vorschriften zur Rechtsnachfolge (§§ 6, 30) allerdings auch anders darstellen, wenn der Verband im Insolvenzverfahren zwar liquidiert, dessen Geschäftsbetrieb aber im Wege einer übertragenden Sanierung voll-ZRI 2020, 329ständig oder zumindest teilweise auf einen anderen Rechtsträger übertragen wird. Insbesondere in Fällen, in denen der übernehmende Rechtsträger in Verbindung mit den Geschäftsführern oder Gesellschaftern des nunmehr insolventen Verbandes steht, kann es auch trotz einer Insolvenz geboten sein, das Verfahren mit Blick auf die Rechtsnachfolge fortzuführen. Für Verfahrensgestaltungen, bei denen das Insolvenzverfahren beendet wird, ohne dass es zu einer Liquidation des Verbandes kommt, besteht die Möglichkeit, das Verfahren innerhalb bestimmter Fristen wieder aufzunehmen.“
Die vorgeschlagene Regelung begegnet mehrfachen rechtlichen Bedenken:
1) Nach § 39 Abs. 1 VerSanG-E soll von der Verfolgung eines Verbandes abgesehen werden können, wenn über das Vermögen des Verbandes ein Insolvenzverfahren eröffnet oder ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist. Die Begründung, dass eine Verfolgung bei perspektivisch nicht mehr vollstreckbarer Sanktion nicht geboten ist, ist plausibel. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die geplante Änderung des § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO, mit der Sanktionen nach dem VerSanG – in systemgerechter Gleichstellung mit Geldstrafen u. Ä. – den nachrangigen Insolvenzforderungen zugeordnet werden.
Die Perspektive, dass eine Sanktion insolvenzbedingt nicht mehr vollstreckbar sein wird, kann sich allerdings schon vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder der Abweisung eines Insolvenzantrags mangels Masse abzeichnen im Verfahren über den Insolvenzantrag. Dies gilt insbesondere, wenn ein vorläufiges Insolvenzverfahren angeordnet wird und eine Insolvenzeröffnung sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit abzeichnet. Die Verfolgungsbehörde dürfte in der Lage sein, einzelfallbezogen eine sachgerechte Einschätzung der Vollstreckungsperspektive vorzunehmen. Daher sollte ihr in Ergänzung von § 39 Abs. 1 VerSanG-E die Möglichkeit eröffnet werden, schon im Insolvenzantragsverfahren von der Verfolgung – ggf. einstweilen – abzusehen oder ein bereits laufendes Verfahren gemäß § 39 Abs. 2 VerSanG-E vorläufig einzustellen.
Für die Fälle einer Einstellung mangels Masse (§ 207 InsO) und einer Einstellung nach Verteilung (§ 211 InsO) ist die Möglichkeit eines Absehens von Verfolgung nicht ausdrücklich vorgesehen. Falls dem die Überlegung zugrunde liegt, dass die durch die Insolvenzeröffnung ausgelöste Möglichkeit des Absehens von Verfolgung nicht befristet ist und entsprechend der Verfahrensentwicklung auch später noch ausgeübt werden kann, sollte dies gesetzlich klargestellt werden, um Zweifelsfälle auszuschließen. Systematisch konsequenter wäre in diesem Zusammenhang allerdings, auch bei Einstellung nach § 207 InsO oder § 211 InsO die Möglichkeit des Absehens von Verfolgung vorzusehen und – wie in den Fällen der Wiederaufnahme nach § 39 Abs. 3 VerSanG-E – in § 39 Abs. 1 VerSanG-E eine Frist für die Entscheidung der Verfolgungsbehörde aufzunehmen. Angesichts der oft jahrelangen Dauer von Insolvenzverfahren sollte der zeitliche Rahmen (3 Monate) aus Abs. 3 auch für die Entscheidung nach Abs. 1 Anwendung finden, um Rechtssicherheit herzustellen.
2) Nach der Begründung zu § 39 VerSanG-E soll im Fall einer übertragenden Sanierung die Fortführung der Verfolgung vor dem Hintergrund der Vorschriften zur Rechtsnachfolge (§§ 6, 30) möglich bzw. insbesondere dann geboten sein, wenn der übernehmende Rechtsträger in Verbindung mit den Geschäftsführern oder Gesellschaftern des nunmehr insolventen Verbandes steht. Prima facie erscheint das in der Begründung formulierte Verfolgungsinteresse zwar nachvollziehbar. Das dargestellte Vorgehen lässt sich aber mit der Bezugnahme auf die Vorschriften zur Rechtsnachfolge nicht begründen und würde einen Systembruch dahingehend darstellen, dass eine Verbandsanktion nicht mehr an die Identität der juristischen Person, sondern an die Identität natürlicher Personen geknüpft würde.
§ 6 VerSanG-E schränkt die Verfolgung im Fall der Rechtsnachfolge ausdrücklich ein: „Im Fall einer Gesamtrechtsnachfolge oder einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge durch Aufspaltung (§ 123 Absatz 1 des Umwandlungsgesetzes) können Verbandssanktionen nach § 8 gegen den oder die Rechtsnachfolger verhängt werden.“
Die übertragende Sanierung eines Betriebs oder Betriebsteils im Insolvenzverfahren erfolgt dadurch, dass der Insolvenzverwalter Gegenstände des Aktivvermögens veräußert. Eine Übernahme der Passiva erfolgt gerade nicht, denn dies würde den Zweck der Maßnahme konterkarieren: den Erhalt einer produktiven Vermögensmasse unter Abstreifen bzw. nur quotaler Befriedigung der Passiva. Demgemäß kommt beim Kauf aus der Insolvenz weder die Haftung des Firmennachfolgers gemäß § 25 HGB zur Anwendung (vgl. zuletzt etwa BGH v. 3. 12. 2019 – II ZR 457/18, ZRI 2020, 125), noch die steuerliche Haftung des Betriebsübernehmers, vgl. § 75 Abs. 2 AO. Demgemäß wird bei einer übertragenden Sanierung nie eine Gesamtrechtsnachfolge i. S. v. § 6 VerSanG-E vorliegen. Auch eine Aufspaltung wird in diesem Zusammenhang kaum in Frage kommen. Damit bleibt die Verhängung von Verbandssanktionen gegen den oder die Betriebs(teil)erwerber in Folge einer übertragenden Sanierung ausgeschlossen.
Auch die in § 7 Abs. 1 Ziff. 2 VerSanG-E vorgesehene Ausfallhaftung bietet in den Fällen einer übertragenden Sanierung keinen Ansatzpunkt für die Festsetzung eines Haftungsbetrages in Höhe der Verbandsgeldsanktion gegenüber dem Erwerber als Betriebs(teil)erwerber. Die Übernahme wesentlicher Wirtschaftsgüter des betroffenen Verbandes und die Fortsetzung von dessen Tätigkeit im Wesentlichen wird zwar in den meisten Fällen das Ziel einer übertragenden Sanierung sein.
Die in § 7 Abs. 1 Ziff. 2 VerSanG-E geforderten weiteren Voraussetzungen einer Ausfallhaftung werden hier aber regelmäßig nicht vorliegen. Zwar erlischt der einem Sanktionsverfahren ausgesetzte Verband regelmäßig nach Beendigung des Insolvenzverfahrens. Die Ausfallhaftung nach § 7 Abs. 1 Ziff. 2 VerSanG-E setzt aber zusätzlich nicht nur eine Übernahme wesentlicher Wirtschaftsgüter und Tätigkeiten voraus, sondern nach § 7 Abs. 1 Halbsatz 1 Alt. 1 VerSanG-E richtigerweise auch, dass der Übernahme eine Vermögensverschiebung zugrunde liegt. Der Erwerb von Vermögensgegenständen aus einem geordneten Insolvenzverfahren stellt gerade keine Vermögensverschiebung dar.
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Trotz dieser rechtlichen Situation ist – gerade im Lichte der Begründung zu § 39 VerSanG-E – jedoch nicht auszuschließen, dass im Einzelfall die Befürchtung drohender Verbandssanktionen potentielle Erwerber bei übertragenden Sanierungen vom Erwerb abhalten könnte. Zur Herstellung von Rechtssicherheit für Erwerber im Rahmen von übertragenden Sanierungen sollte die Verhängung von Verbandssanktionen sowie die Festsetzung eines Haftungsbetrags in Höhe der Verbandsgeldsanktion bei einem Erwerb von Vermögensgütern in der Insolvenz deshalb ausdrücklich ausgeschlossen werden.
Bedenkenswert ist ein solcher Ausschluss auch im Fall einer übertragenden Sanierung im Rahmen eines Restrukturierungsplans nach dem in Vorbereitung befindlichen Gesetz zu Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rats v. 20. 6. 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132, ABl. (EU) L 172/18 v. 26. 6. 2019.
3) Nach § 39 Abs. 3 VerSanG-E soll eine Wiederaufnahme der Verfolgung möglich werden, wenn das Insolvenzverfahren nach § 212 oder § 213 der Insolvenzordnung eingestellt oder nach § 258 der Insolvenzordnung aufgehoben wird und nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist.
Die Aufhebung nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans gem. § 258 InsO sollte in diesem Zusammenhang nicht zu einer Wiederaufnahme führen. Wäre sie innerhalb der vorgeschlagenen Frist von 3 Monaten jederzeit möglich, dann müsste die Planerfüllung unter den Vorbehalt einer unterbleibenden Wiederaufnahme gestellt werden. Gläubiger werden regelmäßig schon nicht zur Zustimmung bereit sein, wenn die Frage von Verbandsanktionen und damit die Aussicht auf Erfüllbarkeit des Plans nicht geklärt ist. Die Situation unterscheidet sich von der einer bereits vor Insolvenzeröffnung festgesetzten Sanktion, die zwar über das Planverfahren aufgrund der Regelung in § 225 Abs. 3 InsO nicht abgestreift werden kann, aber bereits feststeht und somit kalkulierbar ist. Wird die Sanierung eines Rechtsträgers über einen Insolvenzplan faktisch ausgeschlossen oder auch nur erschwert durch eine drohende, nicht kalkulierbare Verbandsstrafe, geht dies nicht zu Lasten des Verbands, sondern zu Lasten seiner Gläubiger und ggf. Arbeitnehmer.
Zu bedenken ist auch, dass die Sanierung eines Rechtsträgers mittels Insolvenzplan oftmals mit einer Neuaufstellung der Gesellschafterstruktur und des Managements einhergeht und damit faktisch dem wirtschaftlichen und strukturellen Ergebnis einer übertragenden Sanierung entspricht, nur mit technisch anderer Umsetzung, z. B. um keine Übertragung rechtsträgerbezogener Rechtsverhältnisse vornehmen zu müssen, soweit überhaupt möglich.
Mit Blick auf die notwendige Zustimmung und wirtschaftliche Betroffenheit der Gläubiger sollte deshalb die Aufhebung nach rechtskräftiger Bestätigung bei Insolvenzplänen nicht zu einer Wiederaufnahme der Verfolgung führen.

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