RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln
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2699-0490
Zeitschrift für Restrukturierung und Insolvenz
ZRI
2025
Literatur
Albers, Gregor, Forderungskollision – Die Gläubigerkonkurrenz im deutschen Privatrecht, 2025
Mohr Siebeck, XX und 467 S., 119 €, ISBN 978-3-16-164266-1
In dem vorliegenden Buch, der Bonner Habilitationsschrift des inzwischen als Professor an die Universität Linz berufenen Autors, geht es, wie uns der Untertitel verrät, um die Gläubigerkonkurrenz im deutschen Privatrecht. Der Leser dieser Zeitschrift kann sich darunter sicher etwas vorstellen, aber das Thema dieses Werkes ist viel weiter gespannt. Es umfasst nicht nur die Insolvenz, sondern alle Konstellationen, in denen mehrere Gläubiger gleichgerichtete Ansprüche gegen denselben Schuldner haben, dieser aber nicht alle Ansprüche voll erfüllen kann oder muss. Das mag daran liegen, dass er insolvent ist, aber es kann auch darauf beruhen, dass er eine nur einmal vorhandene Sache (z. B. seinen PKW) zweimal verkauft hat, oder darauf, dass er nur beschränkt haftet (wie z. B. ein Kommanditist gem. § 171 HGB mit einem Höchstbetrag), die Gläubigeransprüche diesen Höchstbetrag aber überschreiten.
Zur Lösung solcher Gläubigerkonkurrenzen sind verschiedene rechtliche Modelle denkbar. Die Rechtsordnung kann sich mit dem Wettlauf der Gläubiger um die primär geschuldete Leistung begnügen, also nach dem Prioritätsprinzip denjenigen abschließend begünstigen, der als erster Erfüllung erlangt. Modifiziert werden kann das durch Sekundäransprüche der zu spät gekommenen Gläubiger, etwa auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Sie kann aber auch eine Rangordnung unter den Forderungen festlegen, also etwa der ältesten oder gerade umgekehrt der jüngsten den Vorzug geben. Sie kann eine anteilige Befriedigung aller vorsehen, wie es typischerweise bei der Gesamtvollstreckung, also in der Insolvenz geschieht, aber (etwa in Frankreich) auch bei mehrfachen Pfändungen verschiedener Gläubiger in dasselbe Pfandobjekt. Und sie kann materiell-rechtliche oder prozessuale Hilfsmittel anbieten, um das Ergebnis des Wettlaufs im Verhältnis der konkurrierenden Gläubiger zueinander zu beeinflussen (etwa durch einstweilige Verfügung) oder zu korrigieren (etwa durch Insolvenz- oder Gläubigeranfechtung oder durch Bereicherungsausgleich).
Mit dem derart abgesteckten Themenfeld beschäftigt sich Albers für das deutsche Privatrecht in insgesamt sechs Kapiteln. Die beiden ersten befassen sich mit den Lösungsmodellen des römischen Rechts (S. 25 – 104) und des Partikularrechts im 19. Jahrhundert, einschließlich der Diskussionen im Rahmen der Gesetzgebungsarbeiten am BGB (S. 105 – 176). Der Autor erweist sich hier einmal mehr – lesenswert schon seine 2019 erschienene Dissertation zur „Perpetuatio Obligationis, Leistungspflicht trotz Unmöglichkeit im klassischen Recht“ – als exzellenter Rechtshistoriker und öffnet gekonnt die Augen für die Schwierigkeit, die Problematik sachgerecht zu differenzieren, zu bewerten und zu regeln.
Im dritten Kapitel geht es um den Wettkampf mit den Mitteln des Rechts (S. 177 – 248). Hier werden Konstellationen behandelt, in denen sich die Rechtsordnung einer Verteilungsentscheidung enthält, aber rechtliche Instrumente zur Verfügung stellt, die die konkurrierenden Gläubiger gegen einander in Stellung bringen können. Hat also beispielsweise ein Schuldner eine ihm gehörende Sache zweimal verkauft, dann kann derjenige Käufer, dem die Sache zuerst übereignet worden ist, diese behalten. Der andere muss sich mit Schadensersatz wegen Nichterfüllung begnügen. Er kann aber versuchen, die Übereignung an den Konkurrenten mit Hilfe einer einstweiligen Verfügung oder überholender Zwangsvollstreckung zu unterbinden. Das alles wird bis in die kleinsten Verästelungen hinein gedanklich aufbereitet, so dass auch Sonderkonstellationen wie beispielsweise Vorausverfügungen, Verarbeitungsklauseln oder die Vollstreckung unvertretbarer Handlungen zu ihrem Recht kommen. Vor allem wird natürlich dem einstweiligen Rechtsschutz besondere Aufmerksamkeit gewidmet, ebenso dem Sonderfall der Kollision bei beschränkter Haftung.
Demgegenüber stehen die im vierten Kapitel behandelten Fälle, in denen die Rechtsordnung die Konkurrenz durch rechtliche Zuweisungen entscheidet und damit den freien Wettlauf der Gläubiger verhindert (S. 249 – 324). Ein erstes Modell ist der Vorrang der älteren Forderung, die sich im Gesetz nur sehr vereinzelt findet (z. B. in §§ 519, 659 BGB), in Ausnahmefällen aber auch aus § 826 BGB (Stichwort: Verleiten zum Vertragsbruch) hergeleitet werden kann. Ein allgemeines Prioritätsprinzip in diesem Sinne kennt das deutsche Zivilrecht aber nicht. Auch der umgekehrte Fall des Vorrangs der jüngeren Forderung (Posterioritätsprinzip) findet sich im Gesetz nur sehr vereinzelt (etwa in § 442 Abs. 1 HGB). So bleibt als Hauptanwendungsfall der gesetzlichen Zuweisung die Gläubigergleichbehandlung, die sich vereinzelt im materiellen Recht (z. B. § 659 Abs. 2, §§ 660, 2089 BGB), hauptsächlich aber im Insolvenzrecht findet. Darüber hinaus lässt sich das Prinzip der gleichmäßigen Befriedigung konkurrierender Gläubiger im Zusammenhang mit summenmäßig beschränkter Haftung identifizieren, etwa in § 12 Abs. 2 StVG oder § 109 Satz 1 VVG, aber auch im Schuldrecht bei unverschuldetem Leistungshindernis. Auch hier werden wieder zahlreiche Details, Modifikationen und Ausnahmen vorgestellt. Ein allgemeines Prinzip der Gläubigergleichbehandlung lässt sich aber für die Bewältigung der Forderungskollision zunächst nicht ermitteln.
Im fünften Kapitel geht es um zwei Problemfälle, in denen Wettkampf stattfindet, wo eigentlich mit Gleichbehandlung zu rechnen wäre (S. 325 – 362). Der erste Fall betrifft die beschränkte Erbenhaftung außerhalb der Nachlassinsolvenz (§§ 1973 f., §§ 1989 ff. BGB mit Verweisungen in §§ 1480, 1629a BGB) – letztlich Kompromissvorschriften aus Gründen der Praktikabilität. Der zweite Fall betrifft Regressfälle, etwa bei Gesamtgläubigern, ZRI 2025, 672wo die Gleichbehandlung erst über den Innenregress nach § 430 BGB erreicht wird. Immerhin schält sich am Ende dieses Kapitels doch als allgemeine These heraus, dass das Gesetz eine Wettlauf-Lösung nach dem „Alles-oder-Nichts“-Prinzip in vielen Fällen entweder ausschließt (insbesondere durch Insolvenzverfahren) oder korrigiert.
Damit kann im sechsten und letzten Kapitel das Thema „Korrektur von Fehlzuteilungen“ etwas grundsätzlicher in den Blick genommen werden (S. 363 – 399). Ob eine Haftung des Schuldners hilft, hängt vom Kollisionsgrund ab; bei beschränkter Haftung beispielsweise scheidet sie aus. Denkbar sind aber Rückforderungsansprüche des Schuldners und direkte Ausgleichsansprüche eines Gläubigers gegen den bevorzugten anderen. Hier plädiert Albers für eine Orientierung am Anfechtungsrecht, und zwar für die Rückforderungsansprüche an §§ 129 ff. InsO, für direkte Ausgleichsansprüche an §§ 3 ff. AnfG. Liegen aber deren Voraussetzungen nicht vor, bleibt nur die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung.
Was ist nun der Ertrag dieses Buches? Dem Verfasser ist es in einer eindrucksvollen wissenschaftlichen Leistung gelungen, die unterschiedlichsten Erscheinungsformen der Forderungskollision zu erfassen und zu systematisieren. Schon dafür gebührt ihm großer Dank. Darüber hinaus zeigt sich, dass sich die Rechtsordnung in den Wettlauf der Gläubiger nicht einmischt, wenn derjenige Gläubiger, der den Wettlauf verliert, immerhin einen Sekundäranspruch wegen Nichterfüllung bekommt. Führt der Wettlauf hingegen dazu, dass einer „Alles“ und der andere „Nichts“ erhält, greift die Rechtsordnung oft zugunsten einer Gläubigergleichbehandlung ein – auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens. Dies vor- und weiterzudenken ist das nicht gering zu schätzende Verdienst dieser Schrift.
Prof. Dr. Reinhard Bork, Hamburg