RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln
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2699-0490
Zeitschrift für Restrukturierung und Insolvenz
ZRI
2020
Dokumentation
Stellungnahme des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID) vom 18. 11. 2020 zum COVID-Schutzschirmverfahren
Erleichterter Zugang für KMU und inhabergeführte Unternehmen
Vorbemerkung
So sehr ein außergerichtlicher Restrukturierungsrahmen (StaRUG) zu begrüßen ist, so wenig werden voraussichtlich kleinere und mittelständische Unternehmen von diesen derzeit im Bundestag und Bundesrat diskutierten Maßnahmen profitieren können. Die Regelungen des künftigen Restrukturierungsrahmens sind zu komplex und zu beratungsintensiv. Zudem werden damit nur europäische Vorgaben aus der Zeit vor der Coronakrise umgesetzt, die gerade nicht auf die pandemiebedingten Probleme einer großen Anzahl von Unternehmen und das aktuell veränderte Marktumfeld ausgerichtet sind.
Den von der COVID-19-Pandemie betroffenen Unternehmen sollte deshalb ein vereinfachtes Verfahren der Reorganisation an die Hand gegeben werden, das schnell umgesetzt werden kann und auf bewährten Instrumenten basiert. Hierzu bietet sich das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO (künftig: § 270d InsO) an, welches allein in diesem Jahr u. a. bei GALERIA Karstadt Kaufhof, Condor und Esprit seine Wirkung gezeigt und die Akzeptanz in der Bevölkerung für ein derartiges Verfahren verdeutlicht hat. Im Schutzschirmverfahren wird der seit nunmehr fast 10 Jahren erweiterte Sanierungsansatz der Insolvenzordnung besonders deutlich. Das zeigt auch die öffentliche Erwägung eines Schutzschirmverfahrens durch den Vorstand der Lufthansa.
Die hier vorgeschlagenen, minimalinvasiven gesetzlichen Änderungen für ein COVID-Schutzschirmverfahren mit einer deutlichen Reduzierung der Einstiegshürden für einen befristeten Zeitraum werden vor allem KMU eine gesetzliche Hilfe bieten, wenn die staatlichen Hilfsmaßnahmen nicht oder nicht ausreichend greifen. Den COVID-Schutzschirm dürfen allerdings nur solche Unternehmen für sich beanspruchen, deren wirtschaftliche Krise nachweislich pandemiebedingt ist.
I. Rechtliche Rahmenbedingungen
Der Vorschlag eines COVID-Schutzschirmverfahrens stützt sich allein auf die bestehenden Grundstrukturen des in § 270b InsO geregelten Schutzschirmverfahrens. Als Insolvenzverfahren kann es auf die dort vorgesehenen Eingriffsmöglichkeiten in Gläubigerrechte zurückgreifen. Neue verfassungs- oder verfahrensrechtlich möglicherweise problematische Instrumentarien, wie etwa ein Moratorium, sind entbehrlich; die zuständigen Gerichte und Gerichtsstrukturen existieren bereits. Bestehende Regelungen sollen lediglich für einen begrenzten Zeitraum vereinfacht, Einstiegshürden reduziert und die Aufgaben des (vorläufigen) Sachwalters erweitert werden. Die Bundesregierung hat diesen Ansatz in Art. 10 SanInsFoG durch eine Erweiterung von § 5 des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes bereits vorgezeichnet. Der hier vorgelegte Vorschlag ergänzt dies durch wenige zusätzliche Maßnahmen. Er soll die Restrukturierung über das StaRUG nicht ersetzen, sondern den betroffenen Unternehmen nur einen weiteren Verfahrensweg eröffnen.
ZRI 2020, 688
II. Einstiegsvoraussetzung/Bescheinigung
Unternehmen, die lediglich aufgrund der Pandemie zahlungsunfähig geworden sind, sollen eine vereinfachte Möglichkeit erhalten, ohne übermäßigen Beratungs- und Kostenaufwand von dem Sanierungsverfahren nach § 270b InsO Gebrauch zu machen. Entscheidend ist insoweit, dass die Zahlungsunfähigkeit ausschließlich auf solchen Verbindlichkeiten beruht, die nach dem 1. 1. 2020 fällig geworden sind. Statt der üblicherweise durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer zu erstellenden Sanierungsbescheinigung genügt es, dass in dem ohnehin gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO vorzulegenden Gläubigerverzeichnis die Fälligkeiten aller Verbindlichkeiten ausgewiesen und die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben durch das Unternehmen zu versichern sind.
III. Erweiterte Aufgabenzuweisung an den Sachwalter
Im Hinblick auf die erleichterten Zugangsvoraussetzungen zum COVID-Schutzschirmverfahren sollten auch die Aufgaben des (vorläufigen) Sachwalters in adäquater Weise angepasst werden. Die kostenintensive Begleitung durch spezialisierte Berater können sich viele kleine und mittlere Unternehmen in der aktuellen Krise nicht mehr leisten. Erforderlich ist deshalb ein Arbeiten Hand in Hand zwischen der Unternehmensleitung und dem gerichtlich bestellten Sachwalter. Im Zuge dessen sollten dem (vorläufigen) Sachwalter weitere Aufgaben und Befugnisse zugewiesen werden, um in den Unternehmen den Beratungsaufwand zu reduzieren und auch die Erfolgschancen der Sanierung zu verbessern. Dazu gehört unter anderem ein Planinitiativrecht, bei dem der Sachwalter den Insolvenzplan nach § 218 InsO vorlegen darf. Denkbar wäre auch, dass das Unternehmen nicht mehr in der eigenen Geschäftsleitung oder durch hinzugezogene Berater die insolvenzrechtliche Kompetenz für ein Eigenverwaltungsverfahren darstellen muss. Hier könnte der Sachwalter durch weitere Kompetenzen quasi als „starker Sachwalter“ fungieren, um die Rechte der Gläubiger zu wahren und gleichzeitig dem Unternehmer bei der Unternehmensführung im täglichen Ablauf möglichst große Handlungsspielräume zu verschaffen.
IV. Sicherung von Arbeitsplätzen
Die Sicherung von Arbeitsplätzen durch Kurzarbeitergeld und sonstige staatliche Hilfen steht derzeit im Mittelpunkt der staatlichen Maßnahmen zur Eingrenzung der Pandemiefolgen. Über ein COVID-Schutzschirmverfahren sollten deshalb auch so weit als möglich Arbeitsplätze erhalten werden. Dazu sollten die betroffenen Unternehmen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die Finanzierung der Gehälter durch das Kurzarbeitergeld zurückgreifen können. Dies soll selbst dann möglich sein, wenn im Zeitraum des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens die Gehälter der Mitarbeiter über das Insolvenzgeld finanziert wurden. Damit wäre es möglich, den Sanierungsprozess während des COVID-Schutzschirmverfahrens zu konzipieren und umzusetzen, ohne zugleich unmittelbar nach Eröffnung des Verfahrens Kündigungen aussprechen zu müssen. Zudem sollte das Kurzarbeitergeld aufgrund der insolvenzrechtlichen Besonderheiten – u. a. Gewährung von Arbeitslosengeld nach Freistellung bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit – auch bei einer nicht vermeidbaren Beendigung der Arbeitsverhältnisse im Kündigungszeitraum gewährt werden.
V. Änderungen der Eigenverwaltung erst zum 1. 1. 2022
Die mit dem SanInsFoG vorgesehenen Änderungen der §§ 270 ff. InsO verschärfen die Eingangsvoraussetzungen für ein Schutzschirmverfahren in Eigenverwaltung. Diese verschärften Eingangsvoraussetzungen sind grundsätzlich zu begrüßen und Ergebnis der von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Evaluation des ESUG. In Pandemiezeiten ist es im Hinblick auf das vorstehend formulierte Ziel der Unterstützung einer großen Anzahl unverschuldet in die Krise geratener Unternehmen und zur Bewältigung einer strukturellen Krise jedoch ausnahmsweise hinzunehmen, das Inkrafttreten der Verschärfung auf die Zeit nach der Bewältigung der Pandemie und somit zunächst auf den 1. 1. 2022 zu verschieben.