ZRI 2024, 46

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 2699-0490 Zeitschrift für Restrukturierung und Insolvenz ZRI 2024 Report 

Gravenbrucher Kreis begrüßt die insolvenz- und restrukturierungsrechtlichen Neuregelungen des Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz

Das Bundesministerium der Justiz hat am 25. Oktober 2023 einen Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz veröffentlicht. Ziel des Gesetzes ist die weitere Förderung der Digitalisierung der Justiz. Die folgende Stellungnahme des Gravenbrucher Kreises betrifft die insolvenzrechtlichen Auswirkungen des Entwurfs.
In insolvenzrechtlicher Hinsicht sollen die Möglichkeiten der elektronischen Forderungsanmeldung und der elektronischen Kommunikation erweitert werden. Konkret soll Artikel 28 Buchstabe a und c der Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizient von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (im Folgenden „Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz“) umgesetzt werden. Demnach sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass auch in grenzüberschreitenden Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren die Gläubiger ihre Forderungen elektronisch geltend machen und die Verfahrensparteien, die Verwalter sowie die Justiz- und Verwaltungsbehörden, elektronische Mitteilungen an die Gläubiger vornehmen können. Dem liegen Erwägungsgrund 90 und 91 der Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz zugrunde, wonach die Verfahren hierdurch weiter verkürzt und den Gläubigern eine bessere Beteiligung erleichtert werden sollen sowie zu gewährleisten, dass ähnliche Bedingungen für Gläubiger unabhängig von ihrem Standort in der Union bestehen.
In restrukturierungsrechtlicher Hinsicht sollen bei öffentlichen Restrukturierungssachen (§§ 84 ff. StaRUG) die über das Internet bekannt zu machenden Gegenstände konkretisiert werden. Zudem sollen Formerleichterungen vereinbart werden können, soweit im Gesetz schriftliche Einberufungen vorgesehen sind.
Der Gravenbrucher Kreis befürwortet im Grundsatz die insolvenz- und restrukturierungsrechtlichen Regelungen des Referentenentwurfs. Der Entwurf könnte durch eine Regelung zu einer rein virtuellen Gläubigerversammlung noch nachgeschärft werden.
Zu einzelnen Punkten des Referentenentwurfs bezieht der Gravenbrucher Kreis wie folgt Stellung:

A. Unklarheiten in § 8 Abs. 3 Satz 3 InsO-E

Ausweislich der Gesetzesbegründung (S. 57) ist das zuzustellende Dokument künftig zu Informationszwecken auch im elektronischen Gläubigerinformationssystem zum Abruf bereitzustellen, weil mit diesem künftig in allen Insolvenzverfahren eine geeignete und sichere Informationsplattform für verfahrensbezogene Dokumente und Mitteilungen zur Verfügung steht. Deutlicher: Im elektronischen Gläubigerinformationssystem sollen ab Inkrafttreten alle verfahrensrelevanten Informationen einsehbar sein.
Der Entwurf ist in dieser Hinsicht zumindest missverständlich. In § 8 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 InsO-E heißt es, dass „in diesem Fall“ die Dokumente zugleich auch zum Abruf im elektronischen Gläubigerinformationssystem zur Verfügung zu stellen sind. „In diesem Fall“ bezieht sich in systematischer Hinsicht auf § 8 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 InsO-E, also nur für den Fall, wenn die Zustellung nach Maßgabe des § 173 ZPO erfolgt. Dies ist aber nicht gemeint. Vielmehr sollte sich § 8 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 InsO-E auf § 8 Abs. 3 Satz 1 InsO-E beziehen, namentlich auf den Fall, dass das Insolvenzgericht den Insolvenzverwalter mit den Zustellungen nach § 8 Abs. 1 InsO beauftragt.
Der Gravenbrucher Kreis schlägt deshalb vor, § 8 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 InsO-E als (alleinigen) Satz 2 und § 8 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 InsO-E als Satz 4 einzufügen. Der jetzige Satz 2 wird zu Satz 3:
(3) Das Insolvenzgericht kann den Insolvenzverwalter beauftragen, die Zustellungen nach Absatz 1 durchzuführen. In diesem Fall sind die Dokumente zugleich auch zum Abruf im elektronischen Gläubigerinformationssystem (§ 5 Abs. 5) zur Verfügung zu stellen. Zur Durchführung der Zustellung und zur Erfassung in den Akten kann er sich Dritter, insbesondere auch eigenen Personals, bedienen. Die Zustellung kann auch elektronisch nach Maßgabe des § 173 der Zivilprozessordnung erfolgen. […]

B. Straffung des § 8 Abs. 3 Sätze 4 und 5 InsO-E

Satz 4 und Satz 5 des jetzigen Entwurfs sollten nach Auffassung des Gravenbrucher Kreis zusammengefasst werden: „Der Insolvenzverwalter hat die Zustellnachweise unverzüglich zu den Gerichtsakten zu reichen“. Damit sind die Nachweise nach § 184 Abs. 2 Satz 4 ZPO als auch nach § 173 ZPO umfasst.

C. Virtuelle Gläubigerversammlung

Seit Art. 5 Nr. 4 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Gesetz vom 22. Dezember 2020, BGBl. I S. 3256) am 1. Januar 2021 in Kraft getreten ist, gilt gemäß § 4 Satz 2 InsO im Insolvenzverfahren § 128a ZPO mit der Maßgabe, dass bei Gläubigerversammlungen sowie sonstigen Versammlungen und Terminen die Beteiligten in der Ladung auf ZRI 2024, 47die Verpflichtung hinzuweisen sind, wissentliche Ton- und Bildaufzeichnungen zu unterlassen und durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Dritte die Ton- und Bildübertragung nicht wahrnehmen können.
Wie sich aus der entsprechenden Anwendung von § 128a ZPO ergibt, muss der Versammlungsort immer ein vom Insolvenzgericht bestimmter, der physischen Teilnahme zugänglicher Ort sein. Es sind also ausschließlich „hybride“ Gläubigerversammlungen möglich. Dabei liegt es im Ermessen des Insolvenzgerichts, über die Art der Durchführung der Versammlung zu entscheiden, ohne dass diese Entscheidung anfechtbar ist (§ 128a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 ZPO i. V. m. § 4 Satz 2 InsO). Das Insolvenzgericht kann zudem die Option der Teilnahme „von einem anderen Ort“ allen oder auch nur einzelnen Teilnahmeberechtigten einräumen (BT-Drs. 19/24181, S. 192).
Aus Sicht des Gravenbrucher Kreises sollte neben der hybriden Gläubigerversammlung die Option einer rein virtuellen Gläubigerversammlung, ohne hybride Elemente, geschaffen werden, die mutmaßlich in der Zukunft zur Regel werden wird.
In Gläubigerversammlungen werden wichtige und erforderliche Entscheidungen getroffen. Jedoch nehmen erfahrungsgemäß keine oder nur sehr wenige Personen an Gläubigerversammlungen teil, da der zu erwartende Nutzen einer Teilnahme in keinem Verhältnis zu den dadurch verursachten Kosten steht (Jungmann/Windau, NZI 2021, 849, 850). Die in den Versammlungen getroffenen Entscheidungen sind daher im Ergebnis nicht wirklich durch ein Votum der Gläubigerschaft legitimiert, sondern regelmäßig höchstens durch einen sehr geringen Anteil.
Bei der Durchführung von rein virtuellen Gläubigerversammlungen ist zu erwarten, dass mehr Gläubiger teilnehmen als an Präsenzterminen (Schmittmann, RDi 2021, 34, 39; Braegelmann/Horstkotte/Martini, ZInsO 2020, 729, 730). Virtuelle Gläubigerversammlungen können also die Gläubigerkommunikation und -partizipation effektiv verbessern. Gleichzeitig lässt sich der doppelte Aufwand, der durch die gleichzeitige Durchführung der Versammlungen in Präsenz und virtuell entsteht, reduzieren.
Durch die mit § 1 Abs. 2 COVMG gesammelten Erfahrungen in Bezug auf die Durchführung von virtuellen Hauptversammlungen hat sich gezeigt, dass solche Versammlungen rechtssicher durchgeführt werden können. Die Versammlungen konnten zudem störungsfrei durchgeführt werden (RegE, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung virtuelle Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung weiterer Vorschriften, BT-Drs. 20/1738, S. 16). Der Gesetzgeber hat daher durch das Einfügen eines § 118a AktG die dauerhafte Möglichkeit von virtuellen Hauptversammlungen geschaffen (Gesetz vom 20. Juli 2022, BGBl. I S. 1166).
Diese positive Entwicklung in Richtung der Digitalisierung sollte auf die Insolvenzordnung übertragen werden. Daher schlägt der Gravenbrucher Kreis die Einfügung eines neuen § 74a InsO vor:
(1) Das Gericht kann anordnen, dass die Gläubigerversammlung ohne physische Präsenz der Teilnahmeberechtigten abgehalten wird (virtuelle Gläubigerversammlung).
(2) Wird eine virtuelle Gläubigerversammlung abgehalten, sind die folgenden Voraussetzungen einzuhalten:
  • 1. die gesamte Versammlung wird mit Bild und Ton übertragen; § 4 Satz 2 gilt entsprechend;
  • 2. die Stimmrechtsausübung der Gläubiger ist im Wege elektronischer Kommunikation, namentlich über elektronische Teilnahme oder elektronische Briefwahl, sowie über Vollmachtserteilung möglich;
  • 3. den Gläubigern wird das Recht eingeräumt, Anträge in der Versammlung im Wege der Videokommunikation zu stellen;
  • 4. den Teilnahmeberechtigten wird ein Rederecht in der Versammlung im Wege der Videokommunikation eingeräumt.

D. Änderungen im EGInsO

Nach Art. 34 Abs. 1 der Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz sind Artikel 28 Buchstabe a und c bis zum 17. Juli 2024 zu erlassen und zu veröffentlichen. Art. 103n EGInsO sieht dies im Grundsatz vor.
Art. 103n Abs. 1 EGInsO n. F. sieht in Abweichung zu dem Grundsatz vor, dass die Änderungen in §§ 5 Abs. 5, 8 Abs. 3 und 28 Abs. 4 InsO auf Insolvenzverfahren, die vor dem 17. Juli 2024 eröffnet worden sind, in der bis dahin geltenden Fassung weiter anzuwenden sind. Damit gelten für Altverfahren weiterhin die Größenkriterien des § 5 Abs. 5 Satz 2 InsO, die bestimmen, ab welcher Größe die Nutzung eines elektronischen Gläubigerinformationssystems zwingend einzusetzen ist. Mit dieser Regelung werde berücksichtigt, dass bereits bestellte Insolvenzverwalter für solche Verfahren, bei denen die Nutzung eines elektronischen Gläubigerinformationssystems bislang nicht zwingend ist, ein solches nicht nachträglich nachrüsten müssen. Würde der Verwalter nach dem 17. Juli 2024 nämlich nicht über die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für den Betrieb eines elektronischen Gläubigerinformationssystems verfügen, müsste das Insolvenzgericht einen Verwalterwechsel vollziehen.
Die Begründung des Referentenentwurfs deckt sich nicht mit der heutigen Wirklichkeit in der Insolvenzverwalterlandschaft. Bereits heute verfügen sämtliche professionell aufgestellte Verwalterbüros über ein elektronisches Gläubigerinformationssystem. Solchen Verwaltern, die heute noch über kein elektronisches Gläubigerinformationssystem verfügen, sollte es zumutbar sein, bis zum Inkrafttreten die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Implementierung eines elektronischen Gläubigerinformationssystem zu schaffen. Zudem geht der Referentenentwurf selbst im Rahmen des Erfüllungsaufwands für die Wirtschaft (S. 39) davon aus, dass ein elektronisches Gläubigerinformationssystem bereits von allen Verwaltern geführt wird.
Gleichwohl ist die materielle Regelung im Ergebnis wohl nicht zu beanstanden, weil es ansonsten zu einem erheblichen Mehr-ZRI 2024, 48aufwand in den Verwalterbüros kommen könnte. Haben Verwalter für Verfahren, bei denen die Nutzung des elektronischen Gläubigerinformationssystem nicht zwingend vorgeschrieben ist, ein solches nicht genutzt, müssten nun einerseits alle relevanten Dokumente in das System überführt werden und andererseits die Gläubiger mit entsprechenden Zugangsdaten versorgt werden. Der Aufwand steht nach Auffassung des Gravenbrucher Kreises nicht im Verhältnis zum zu erreichenden Zweck des Gesetzes. Verfahren, für die nicht bereits zwingend ein elektronisches Gläubigerinformationssystem vorgeschrieben ist, dürften ganz überwiegend in einem überschaubaren Zeitraum von wenigen Jahren abgeschlossen sein. Somit werden die Neuregelungen effektiv ab dem Jahr 2026 – abgesehen von einer zu vernachlässigenden Zahl von Altverfahren – für alle Insolvenzverfahren umgesetzt.

E. Öffentliche Bekanntmachung von Vergütungen in § 85 Abs. 2 Nr. 5 StaRUG-E

Mit der Neufassung des § 85 StaRUG soll dessen Regelungsgehalt an die nach der Insolvenzordnung vorzunehmenden öffentlichen Bekanntmachungen angepasst werden (S. 59).
Aus den Verweisungen in § 85 Abs. 2 Nr. 5 StaRUG-E ergibt sich, dass auch die Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts nach §§ 81 Abs. 4, 82 Abs. 1 und 93 Abs. 4 StaRUG veröffentlicht werden sollen. Darin geregelt sind einerseits die Festsetzung der Stundensätze des Restrukturierungsbeauftragten und zum anderen die Vergütungen des Restrukturierungsbeauftragten und der Mitglieder des Gläubigerbeirats.
Eine vergleichbare Regelung in der Insolvenzordnung findet sich in §§ 64 Abs. 2 Satz 1 und 74 InsO.
Im Unterschied zum Entwurf werden in der Insolvenzordnung die festgesetzten Beträge nicht veröffentlicht; in der öffentlichen Bekanntmachung ist lediglich darauf hinzuweisen, dass der vollständige Beschluss in der Geschäftsstelle eingesehen werden kann. Sinn und Zweck ist, dass unnötige Einblicke Außenstehender vermieden werden (BT-Drucks. 12/2443, S. 130; dies ebenfalls betonend: BGH 14. 12. 2017 – IX ZB 65/16, ZVI 2018, 121 (m. Bespr. Reck, S. 87) = NZI 2018, 235 Rz 22).
Um den gewünschten Gleichklang zwischen Insolvenzordnung und StaRUG herzustellen, ist nach Auffassung des Gravenbrucher Kreises eine entsprechende Regelung ins StaRUG aufzunehmen, wonach die Beträge nicht veröffentlicht werden.

F. Schlussbetrachtung

Die insolvenz- und restrukturierungsrechtlichen Neuregelungen im Referentenentwurf werden vom Gravenbrucher Kreis im Grundsatz begrüßt.
Der Referentenentwurf hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Digitalisierung der Justiz voranzutreiben. Mit den vorgeschlagenen Änderungen wird dieses Ziel zweifelsfrei vorangetrieben. Daher ist die Regelungsintention des Referentenentwurfs zu begrüßen. In den Details können die Regelungen aber noch nachgeschärft werden. Außerdem wird die Einführung einer rein virtuellen Gläubigerversammlung empfohlen.
Hamburg, Frankfurt a. M., den 28. November 2023

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