Gravenbrucher Kreis gegen weiteres Sonderrecht des Fiskus – erweitertes Auskunftsrecht der Finanzverwaltung widerspricht dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung
Hamburg, Frankfurt a. M., den 31. März 2025
Im Rahmen einer Evaluation zu den Bestimmungen der Steuerhaftung hat der Bundesrechnungshof auf mögliche Durchsetzungshindernisse hingewiesen, die im Zusammenhang mit § 15b Abs. 8 InsO stehen. Es erfolgt zwar keine grundsätzliche Beanstandung der Auflösung der Pflichtenkollision des Geschäftsleiters zu Lasten des Fiskus. Die Finanzverwaltung würde jedoch Schwierigkeiten bei der Anwendung der Vorschrift begegnen. Bislang sei es ihnen nicht möglich, den genauen Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzreife zu ermitteln, was jedoch Voraussetzung für die Anwendung des § 15b Abs. 8 InsO sei. In diesem Zusammenhang wird durch den Bundesrechnungshof angeregt, der Finanzverwaltung die erforderlichen Informationen über den Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzreife zur Verfügung zu stellen.
Der Gravenbrucher Kreis spricht sich gegen ein derartiges Sonderinformationsrecht des Fiskus aus. Eine Übermittlung der Erkenntnisse des Insolvenzverwalters zum Eintritt der Insolvenzreife an die Finanzverwaltung ist mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung unvereinbar.
Im Gravenbrucher Kreis sind seit 1986 Vertreter führender Insolvenzkanzleien Deutschlands zusammengeschlossen, die sich durch umfassende Erfahrung und Kompetenz im Bereich überregionaler Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren, häufig in Konzernsituationen und auch häufig mit Auslandsbezug auszeichnen. Die Mitglieder verpflichten sich zur Einhaltung höchster Qualitäts- und Leistungsstandards, die sie durch das exklusive, von unabhängigen Auditoren geprüfte Zertifikat InsO Excellence nachweisen. Der Kreis hat aktuell 31 Mitglieder (davon 20 aktive und 11 passive).
Seit seiner Gründung sieht sich der Gravenbrucher Kreis gefordert, das Restrukturierungs- und Insolvenzrecht sowie angrenzende Rechtsgebiete aus Sicht der Praxis fortzuentwickeln. Darüber hinaus bringt der Gravenbrucher Kreis seine Erfahrung in grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen ein und beteiligt sich an der Fortentwicklung internationaler Standards und Regeln im Bereich der Restrukturierung.
1. § 15b Absatz 8 InsO
Die Einführung des § 15b Abs. 8 InsO geht auf das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) zurück.
Mit der Vorschrift wurde die Pflichtenkollision der Geschäftsleiter im Zeitraum zwischen dem Eintritt der Insolvenzreife und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst. Die Geschäftsleiter unterlagen hier einerseits der Pflicht zur Masseerhaltung, weshalb sie nicht selektiv Ansprüche begleichen durften, die im eröffneten Verfahren nur als Insolvenzforderung qualifiziert würden. Andererseits unterlagen sie der haftungsbewehrten Pflicht zur Steuerabführung, waren also zur Zahlung von Forderungen verpflichtet, die sich im eröffneten Verfahren gerade als Insolvenzforderungen darstellen. Mit der Vorschrift wurde die Pflichtenkollision dergestalt aufgelöst, dass keine haftungsbewehrte Verletzung der Steuerabführungspflicht vorliegt, wenn die Geschäftsleitung ihren insolvenzrechtlichen Pflichten zur Antragstellung nachkommt (BT-Drs. 19/25353, S. 11 f.).
Für die Geschäftsleiter haftungsbewehrt blieben mit der Einführung der Vorschrift jedoch insbesondere Verschleppungsfälle, wenn die Frist zur Stellung eines Insolvenzantrags fruchtlos abgelaufen ist (BT-Drs. 19/25353, S. 12). In diesen Fällen trifft sie die Haftung aus §§ 34, 69 AO.
Voraussetzung für die Anwendung des § 15b Abs. 8 InsO ist unter anderem, dass der Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzreife, also das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, bestimmt werden kann. Das ist der Finanzverwaltung nach einer Evaluation des Bundesrechnungshofs zu Regelungen über die Steuerhaftung derzeit nicht möglich.
Insofern wird angeregt, den vorläufigen Insolvenzverwalter oder den Sachverständigen (§ 5 Abs. 1 S. 2 InsO) über die Feststellung des Insolvenzgrundes hinaus auch mit der Feststellung des Zeitpunkts der Insolvenzreife zu beauftragen. Alternativ wäre anzudenken, ob den Insolvenzverwalter eine Pflicht treffen sollte, die bei der Verfolgung von Haftungsansprüchen nach §§ 15a, 15b InsO gewonnenen Erkenntnisse zum Eintritt der Insolvenzreife an die Finanzverwaltung zu übermitteln.
Nach Ansicht des Gravenbrucher Kreis sind diese Überlegungen im Interesse der Gläubigergesamtheit abzulehnen. Das Ansinnen des Bundesrechnungshofs stellt sich als Versuch dar, den Fiskus – entgegen dem Sinn und Zweck der Insolvenzordnung – mit einem weiteren Informationsvorrecht zu privilegieren. Schon Ernst Jaeger erkannte 1932, dass das Vorrecht der Feind des Rechts ist (Lehrbuch des Deutschen Konkursrechts, 1932, S. 64).
1. Keine Ermittlung des Zeitpunkts der Insolvenzreife im Eröffnungsverfahren
Der Gravenbrucher Kreis teilt die Auffassung des Bundesministeriums der Justiz, dass im Eröffnungsverfahren der Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzreife noch nicht abschließend zu ermitteln ist. Neben der vom Bundesministerium der Justiz genannten Erwägung, dass die Aufklärung des Eintritts der Insolvenzreife mit großem Aufwand verbunden sei, der gerade in notorischen Verschleppungsfällen unverhältnismäßig sein kann, liegen die zur Prüfung notwendigen Daten und Unterlagen meist erst im Laufe des eröffneten Verfahrens vor (insbesondere auch Forderungsanmeldungen nebst den forderungsbegründenden Urkunden). Auch ein Gutachten zur retrogeraden Ermittlung des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit nach IDW S11 wird in diesem Zeitpunkt noch nicht vorliegen. Ferner kann die Ermittlung des Zeitpunkts der materiellen Insolvenz zu unverhältnismäßig hohem Aufwand führen, dessen Nutzen zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung noch unklar ist. Wird etwa der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Insolvenzmasse nach § 26 Abs. 1 S. 1 InsO abgewiesen, würde der Nutzen für die Gläubigergesamtheit umfänglich ausbleiben.
2. Keine Übermittlung der Erkenntnisse zum Zeitpunkt der Insolvenzreife an die Finanzverwaltung
Der Gravenbrucher Kreis spricht sich gegen eine Verpflichtung des Insolvenzverwalters aus, seine bei der Verfolgung von Haftungsansprüchen nach den §§ 15a, 15b InsO gewonnenen Erkenntnisse – über die üblichen Informationspflichten hinaus (AG Köln ZInsO 2002, 595) – an die Finanzverwaltung zu übermitteln.
Ziel des Insolvenzverfahrens ist ausweislich § 1 S. 1 InsO die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger des Schuldners. Mit diesem Ziel wäre es nicht vereinbar, wenn einzelnen Gläubigern ohne sachliche Rechtfertigung eine Bevorzugung eingeräumt würde. Die Ausstattung der Finanzverwaltung mit den Erkenntnissen des Insolvenzverwalters zum Eintritt der Insolvenzreife würde allerdings eine solche Bevorzugung zu Lasten der weiteren Gläubiger darstellen.
Insbesondere in den Verschleppungsfällen, die einen weiterhin haftungsbewehrten Bereich für Steuerverbindlichkeiten darstellen, sind auch umfassende Haftungsansprüche der Insolvenzmasse gegen den Geschäftsleiter zu prüfen und ggf. durchzusetzen (§ 15b Abs. 4 S. 1 InsO). Diese Ansprüche müssen vom Insolvenzverwalter zu Gunsten der Gläubigergesamtheit – aber eben auch auf deren Kosten – aufwendig ermittelt und durchgesetzt werden. Nicht selten umfasst die Durchsetzung dieser Ansprüche auch den Klageweg, weshalb bis zur rechtskräftigen Entscheidung mitunter Jahre vergehen können.
Müsste der Insolvenzverwalter seine gewonnenen Erkenntnisse an die Finanzverwaltung übermitteln, so könnte diese – ohne den Zeitaufwand einer Klage betreiben zu müssen – einen Haftungsbescheid gegen den Geschäftsleiter erlassen (§ 191 Abs. 1 AO), auf dessen Grundlage die Finanzverwaltung gegen den Geschäftsleiter vollstrecken kann. Der vom Insolvenzverwalter auf dem Klageweg erstrittene Vollstreckungstitel dürfte dann regelmäßig nicht mehr werthaltig sein, wenn die Finanzverwaltung den Geschäftsleiter schon wesentlich früher zur Begleichung der ausstehenden Steuerverbindlichkeiten in Anspruch nehmen konnte. Unter diesem Umstand würde die Gläubigergesamtheit leiden, weil ihr nach dem Windhundprinzip ein Drittschuldner entzogen würde. Müsste der Insolvenzverwalter seine Erkenntnisse zum Eintritt der Insolvenzreife an die Finanzverwaltung weitergeben, würde er im Ergebnis zu einem Handeln verpflichtet, das der Gläubigergesamtheit – zumindest mittelbar – schaden würde. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Befriedigung des Fiskus von dem Insolvenzverwalter über das Vermögen des Geschäftsleiters nicht zwingend gem. §§ 129 ff. InsO anfechtbar wäre.
Ferner ist fraglich, ob die Erkenntnisse des Insolvenzverwalters in dem Verfahren zwischen Finanzverwaltung und Geschäftsleiter überhaupt hinreichend dienlich sind. Regelmäßig ist der Insolvenzverwalter gezwungen, auf Grundlage seiner Unterlagen und Erkenntnisse einen Haftungsprozess gegen den Geschäftsführer anzustrengen. Immer wieder bringen die Prozesse neue Erkenntnisse zu Tage (beispielsweise Stundungsabreden mit relevanten Gläubigern), die den vom Insolvenzverwalter lege artis ermittelten Zeitpunkt des Eintritts der materiellen Insolvenz zeitlich nach hinten verschieben. Werden die Erkenntnisse des Insolvenzverwalters zur Grundlage des Haftungsbescheides oder eines finanzgerichtlichen Verfahrens gemacht und stellt sich im Zivilprozess später heraus, dass der zugrunde gelegte Zeitpunkt – für den Insolvenzverwalter zum Zeitpunkt der (unterstellten) Informationsweitergabe an die Finanzverwaltung nicht erkennbar – unzutreffend ist, stellt sich die Frage der Haftung des Insolvenzverwalters. Dieser wird seine Haftung tunlichst vermeiden wollen, weshalb er seine Erkenntnisse unter Prämissen stellen wird, die deren Beweiswert auf ein Minimum reduzieren.
Derartige Versuche, in der Insolvenzordnung Fiskusprivilegien zu implementieren, sind immer wieder Gegenstand von Gesetzesvorhaben. Sie treffen sowohl rechtspolitisch als auch in der Literatur zurecht auf Widerstand. Die für den Fiskus vorgesehenen Privilegien haben spiegelbildlich eine Entrechtung der weiteren Gläubiger zur Folge und verstoßen damit gegen das Gebot der Gläubigergleichbehandlung. Teilweise wird darin sogar eine Verletzung der Eigentumsfreiheit der weiteren Gläubiger aus Art. 14 Abs. 1 GG gesehen. Darüber hinaus kann der Fiskus seine Ausfälle auf eine angemessen hohe Zahl an Schultern verteilen, während dies für die weiteren Gläubiger nicht möglich ist (Hageböke/Massuras, ZRI 2023, 185, 191 ff. m. w. N. für das wiederholte Vorhaben von Privilegien im Rahmen der sonstigen Masseverbindlichkeiten).
2. Schlussbetrachtung
Die vom Bundesrechnungshof angeregten Privilegierungen der Finanzverwaltung gegenüber allen übrigen Gläubigern sind nach der Auffassung des Gravenbrucher Kreis nicht zu implementieren. Eine gutachterliche Feststellung zum Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzreife kann unverhältnismäßigen Aufwand erzeugen, dem kein Nutzen für alle Gläubiger gegenübersteht, wenn das Insolvenzverfahren mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Insolvenzmasse abgewiesen wird.
Die Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Übermittlung seiner im Rahmen der Verfolgung von Haftungsansprüchen nach §§ 15a, 15b InsO gewonnenen Erkenntnisse verstößt gegen den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung und zwingt den Insolvenzverwalter möglicherweise sogar zu masseschädlichem Handeln und ist deshalb ebenfalls abzulehnen.
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Herausforderungen bei der weiteren Digitalisierung des Insolvenzverfahrens
Hamburg, Frankfurt a. M., den 31. März 2025
Die Digitalisierung der Justiz schreitet fortlaufend voran. Neuste Überlegungen für umfassende Entwicklungen liegen in Form von Handlungsempfehlungen durch die Reformkommission „Zivilprozess der Zukunft“ im Auftrag des 3. Digitalgipfels der Justizministerinnen und Justizminister des Bundes und der Länder vor („Abschlussbericht“; abrufbar unter: www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Themen
/Nav_Themen/250131_Abschlussbericht_Zivilprozess_Zukunft.pdf). Zu-sätzlich formulieren die Münchener Thesen zum Zivilprozess der Zukunft („Münchener Thesen“; abrufbar unter: www.olg-duesseldorf.nrw.de/infos/Zivilprozess-der-Zukunft/) die Ziele eines digitalen Zivilprozesses.
Diese generellen Überlegungen bieten Anlass, auch das Insolvenzverfahren weiter zu digitalisieren. Aus diesem Grund hat das Bundesministerium der Justiz Sachverständige und Fachverbände zu einem Austausch zum Stand der Digitalisierung in Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren eingeladen. Der Gravenbrucher Kreis begrüßt die dort dargestellten Pläne zur weiteren Digitalisierung des Insolvenzverfahrens ausdrücklich. Die nachstehenden Vorschläge ergänzen die vorgestellten Zukunftsideen.
Im Gravenbrucher Kreis sind seit 1986 Vertreter führender Insolvenzkanzleien Deutschlands zusammengeschlossen, die sich durch umfassende Erfahrung und Kompetenz im Bereich überregionaler Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren, häufig in Konzernsituationen und auch häufig mit Auslandsbezug auszeichnen. Die Mitglieder verpflichten sich zur Einhaltung höchster Qualitäts- und Leistungsstandards, die sie durch das exklusive, von unabhängigen Auditoren geprüfte Zertifikat InsO Excellence nachweisen. Der Kreis hat aktuell 31 Mitglieder (davon 20 aktive und 11 passive).
Seit seiner Gründung sieht sich der Gravenbrucher Kreis gefordert, das Restrukturierungs- und Insolvenzrecht sowie angrenzende Rechtsgebiete aus Sicht der Praxis fortzuentwickeln. Darüber hinaus bringt der Gravenbrucher Kreis seine Erfahrung in grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen ein und beteiligt sich an der Fortentwicklung internationaler Standards und Regeln im Bereich der Restrukturierung.
3. Das digitale Insolvenzverfahren der Zukunft
In der Idealvorstellung eines digitalisierten Insolvenzverfahrens erfolgt die digitale Interaktion zwischen allen Beteiligten des Insolvenzverfahrens zeitgemäß und medienbruchfrei, wodurch Arbeitsaufwände effektiv reduziert werden. Nur so kann der gestiegenen Komplexität vor allem in Großverfahren angemessen Rechnung getragen werden.
Nach der Auffassung des Gravenbrucher Kreis sollte Ziel der Digitalisierung sein, analoge Prozesse nicht nur digital abzubilden, sondern das Potenzial maschinengestützter Verarbeitungen zu nutzen. In diesem Sinne wird zutreffend als ein zentrales Element der Digitalisierung des Zivilprozesses eine bundesweit einheitliche (Kommunikations-)Plattform vorgeschlagen, auf die alle Verfahrensbeteiligten – mit unterschiedlichen Rechten – Zugriff erhalten, damit die Verfahrensdaten einheitlich vorgehalten werden können (Abschlussbericht, S. 53 ff.; Münchener Thesen, S. 4 f.).
Diese vorgeschlagene Plattform nimmt unter anderem Anleihe beim Modell der belgischen Plattform „Regsol“ (abrufbar unter: www.regsol.be/), die es Gläubigern und anderen interessierten Parteien ermöglicht, Informationen in anhängigen Konkursverfahren einzusehen (Abschlussbericht, S. 55).
Durch die Konzentration der Verfahrensdaten auf einer Plattform sollen Doppelstrukturen vermieden werden (Abschlussbericht, S. 56). Solche Doppelstrukturen sind derzeit auch im Insolvenzverfahren zu beobachten, wenn etwa Gläubigerdaten im Verbraucherinsolvenzverfahren mehrfach händisch erfasst werden. Die für den außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch erhobenen Daten werden nicht mittels strukturiertem Datensatz an das Insolvenzgericht übermittelt und müssen daher dort erneut manuell erfasst werden. Scheitert der außergerichtliche Schuldenbereinigungsplan und wird ein Insolvenz(antrags)verfahren eingeleitet, wird der Insolvenzverwalter ggf. ein drittes Mal die Gläubigerdaten händisch erfassen müssen (DRIT, ZInsO 2024, 1640, 1641). Dies wäre vermeidbar, wenn die einmal erhobenen Daten zentral vorgehalten würden und mittels Schnittstellen durch die Berechtigten übermittelt und/oder abgerufen werden könnten (Abschlussbericht, S. 60 f.; Münchener Thesen, S. 5).
Mit diesen Schnittstellen könnten auch die Forderungen der Gläubiger auf der Plattform angemeldet werden, die dann unmittelbar in die entsprechenden Anwendungen der Insolvenzgerichte und Insolvenzverwalter übernommen werden könnten. Eine manuelle Erfassung der Anmeldungen ist dann nicht mehr notwendig. Auf diesem Wege wird auch sichergestellt, dass die Insolvenzordnung den praktischen Anforderungen von Großinsolvenzen gewachsen ist (vgl. für große Gläubigerzahlen: Blankenburg, ZVI 2021, 462, 464). Schriftliche Anmeldungen von mehreren Tausend Gläubigern stellen eine enorme Arbeitsbelastung für das Insolvenzgericht und den Insolvenzverwalter dar. Die dadurch nach der aktuellen Rechtslage zu bewegenden Papier- und Aktenmengen und die dadurch gebundenen Kapazitäten können effektiver genutzt werden, wenn durch rein digitale Anmeldungen der Medienbruch beseitigt und der Prozess vereinfacht würde (vgl. Blankenburg, ZVI 2021, 462, 465; vgl. Reck, ZVI 2023, 11, 12 f.).
Über die Plattform sollten auch die technischen Voraussetzungen für vollständig virtuelle Gläubigerversammlungen geschaffen werden, soweit nicht aus Sicht des Insolvenzverwalters oder Sachwalters eine (physische) Gläubigerversammlung, insbesondere anlässlich des Berichtstermins oder des Erörterungs- und Abstimmungstermins zwingend geboten ist. Virtuelle Gläubigerversammlungen sind nach der Auffassung des Gravenbrucher Kreis ein sinnvoller Baustein eines modernen Insolvenzverfahrens und können positiv zur erfahrungsgemäß niedrigen Gläubigerbeteiligung beitragen (Stellungnahme des Gravenbrucher Kreis vom 28.11.2023, S. 3 ff.). Jedenfalls der Berichts- und Prüfungstermin als auch der Erörterungs- und Abstimmungstermin sollten aber auf Antrag des Insolvenzverwalters oder Sachwalters in Präsenz erfolgen. Bei diesen verfahrensleitenden Terminen ist es sinnvoll, die Gläubiger räumlich zu versammeln, mit ihnen in direkten Kontakt zu treten und auch den Ausschluss der Öffentlichkeit verlässlich sicherzustellen (vgl. Frind, ZInsO 2020, 1743, 1745 ff.; Schmittmann, RDi 2021, 34 Rn. 45 ff.).
Diese Zielsetzungen können gleichwohl nur erreicht werden, wenn für die digitale Plattform auch eine Nutzungspflicht aller Beteiligter besteht (Abschlussbericht, S. 61 ff.; für Naturalparteien zunächst dagegen: Münchener Thesen, S. 4 f.). Ausnahmen hiervon sollten höchstens übergangsweise und nur in äußerst begrenzten Fällen zugelassen werden, um dem Zweck Rechnung zu tragen, Medienbrüche zu beseitigen. Echter Digitalisierungsfortschritt lässt sich nur durch einen konsequent digitalen Ansatz erreichen.
Durch die Nutzungspflicht aller Beteiligter können auch die für die Gläubiger sehr kostenintensiven Zustellungen über die Plattform erfolgen (Abschlussbericht, S. 62 f.; Münchener Thesen, S. 5), so dass eine sich aus den Zustellkosten ergebende Schmälerung der freien Insolvenzmasse vermieden bzw. ausgeschlossen werden kann. Für die Erstzustellung eines Dokuments wird insofern eine Zustellung über bereits vorhandene Kommunikationswege vorgeschlagen, die dann auf die Nutzungspflicht der Plattform verweist (Abschlussbericht, S. 62 f.). Dem ist nach Auffassung des Gravenbrucher Kreis zuzustimmen, denn die Gläubiger könnten für den Fall der Erstzustellung schon jetzt in den meisten Insolvenzverfahren auch kostengünstig über im Unternehmen des Schuldners bekannte E-Mail-Adressen erreicht und informiert werden. Dadurch könnten die negativen Kostenfolgen der postalischen Zustellung und der Medienbruch vermieden werden (vgl. Reck, ZVI 2023, 11, 12). Für weitere Zustellungen sollte dann spätestens sieben Tage nach Bereitstellung der Dokumente und E-Mail-Benachrichtigung über die Abrufbarkeit auf der Plattform eine Zustellungsfiktion greifen (Abschlussbericht, S. 194). Perspektivisch sollte ein digitales Postfach für jeden Bürger und jedes Unternehmen entstehen, an das auch unabhängig von bekannten E-Mail-Adressen zugestellt werden kann und das den analogen Postweg vollständig ersetzt (vgl. Abschlussbericht, S. 44).
4. Sofortmaßnahmen zur Digitalisierung des Insolvenz-verfahrens
Zur Umsetzung der Digitalisierungsziele bieten sich nach Ansicht des Gravenbrucher Kreis einige Sofortmaßnahmen an, die mit nur geringem Aufwand zu erheblichen Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen bei der Bearbeitung von Insolvenzverfahren führen.
1. Digitale Zustellungen
§ 8 Abs. 3 InsO a.F. § 8 Abs. 3 InsO n.F.
1Das Insolvenzgericht kann den Insolvenzverwalter beauftragen, die Zustellungen nach Absatz 1 durchzuführen. 2Zur Durchführung der Zustellung und zur Erfassung in den Akten kann er sich Dritter, insbesondere auch eigenen Personals, bedienen. 3Die Zustellung kann auch elektronisch nach Maßgabe des § 173 der Zivilprozessordnung erfolgen. 4Der Insolvenzverwalter hat die von ihm nach § 184 Abs. 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung angefertigten Vermerke unverzüglich zu den Gerichtsakten zu reichen. 5Im Fall des Satzes 3 hat er die Zustellnachweise zu den Akten zu nehmen und einen Vermerk über die erfolgte Zustellung mit dem Zeitpunkt der Zustellung und mit der genutzten Adresse des Zustellungsadressaten unverzüglich zu den Gerichtsakten zu reichen. 1Das Insolvenzgericht kann den Insolvenzverwalter beauftragen, die Zustellungen nach Absatz 1 durchzuführen. 2Zur Durchführung der Zustellung und zur Erfassung in den Akten kann er sich Dritter, insbesondere auch eigenen Personals, bedienen. 3Die Zustellung kann auch durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments in einem gängigen Dateiformat über einen gängigen elektronischen Übermittlungsweg erfolgen, wenn der Zustellungsadressat einen Zugang eröffnet hat. 4Der Insolvenzverwalter hat die von ihm nach § 184 Abs. 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung angefertigten Vermerke unverzüglich zu den Gerichtsakten zu reichen. 5Im Fall des Satzes 3 hat er die Zustellnachweise zu den Akten zu nehmen und einen Vermerk über die erfolgte Zustellung mit dem Zeitpunkt der Zustellung und mit der genutzten Adresse des Zustellungsadressaten unverzüglich zu den Gerichtsakten zu reichen.
Der Gravenbrucher Kreis schlägt vor, eine niedrigschwellige Regelung zu elektronischen Zustellungen zu implementieren. Bevor eine postalische Zustellung vollständig durch ein digitales Postfach abgelöst wird (Abschlussbericht, S. 36 f.), sollte schon vorher eine einfache elektronische Zustellung ermöglicht werden, um die in Großverfahren teils immensen Zustellungskosten zu senken. Diese belasten die Insolvenzmasse insbesondere in Verfahren mit einer Vielzahl an Gläubigern in erheblichem Umfang. Bei Insolvenzen von Reiseveranstaltern, durch Anleger finanzierte Unternehmen oder Finanzdienstleistern stehen die Kosten der Zustellung an teils mehr als 100.000 Insolvenzgläubiger in keiner wirtschaftlich vernünftigen Relation.
Hierzu regt der Gravenbrucher Kreis an, die Zustellungen regelmäßig durch eine E-Mail an den jeweiligen Beteiligten bewirken zu können, wenn die E-Mail-Adresse beim Schuldner bekannt ist und deshalb darauf geschlossen werden kann, dass ein Zugang zum Empfang von Erklärungen über diesen Kanal eröffnet wurde (vgl. zu E-Mails im Rahmen von § 130 Abs. 1 BGB: BGH, NJW 2022, 3791 Rn. 20). Für die Gläubiger bietet es keinen Mehrwert, dass sie über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kostenträchtig über den postalischen Weg informiert werden, wenn dies auch über elektronische Wege masseschonend erfolgen kann. Zudem führt eine postalische Zustellung erneut zu Medienbrüchen, wenn der postalisch zugestellte Eröffnungsbeschluss beim Empfänger wieder digitalisiert werden muss.
Nur sofern die E-Mail-Adressen von einzelnen Gläubigern nicht bekannt sind, müsste es vorerst bei einer postalischen Zustellung bleiben, bis ein verpflichtend digitaler Übermittlungsweg etabliert ist. Die Zahl der nicht per E-Mail erreichbaren Beteiligten dürfte bei Unternehmen aufgrund der fortdauernden Digitalisierung in der freien Wirtschaft und dort insbesondere im B2C Geschäft (Endkunden-/Verbrauchergeschäft) in den kommenden Jahren immer geringer werden.
Zudem könnte der Zeit- und Kostenaufwand für Zustellungen dadurch reduziert werden, dass bei der ersten Gläubigerzustellung die Gläubiger für zukünftige Bekanntmachungen im betreffenden Insolvenzverfahren auf das Gläubigerinformationssystem verwiesen werden.
2. Digitale Forderungsanmeldungen
§ 174 Abs. 1, Abs. 4 InsO a.F. § 174 Abs. 1, Abs. 4 InsO n.F.
(1) 1Die Insolvenzgläubiger haben ihre Forderungen schriftlich beim Insolvenzverwalter anzumelden. 2Der Anmeldung sollen die Urkunden, aus denen sich die Forderung ergibt, in Abdruck beigefügt werden. 3Zur Vertretung des Gläubigers im Verfahren nach diesem Abschnitt sind auch Personen befugt, die Inkassodienstleistungen erbringen (registrierte Personen nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Rechtsdienstleistungsgesetzes). (1) 1Die Insolvenzgläubiger haben ihre Forderungen durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments beim Insolvenzverwalter anzumelden; der Insolvenzverwalter kann einen gängigen elektronischen Übermittlungsweg sowie ein gängiges Dateiformat vorgeben. 2Der Anmeldung sollen die elektronischen oder digitalisierten Urkunden, aus denen sich die Forderung ergibt, beigefügt werden. 3Auf Verlangen des Insolvenzverwalters oder des Insolvenzgerichts sind Ausdrucke, Abschriften oder Originale von Urkunden einzureichen. 4Zur Vertretung des Gläubigers im Verfahren nach diesem Abschnitt sind auch Personen befugt, die Inkassodienstleistungen erbringen (registrierte Personen nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Rechtsdienstleistungsgesetzes).
(4) 1Die Anmeldung kann durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments erfolgen; der Insolvenzverwalter kann einen gängigen elektronischen Übermittlungsweg sowie ein gängiges Dateiformat vorgeben. 2Der Insolvenzverwalter muss daneben einen sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 130a der Zivilprozessordnung für die Übermittlung anbieten. 3Als Urkunde im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 kann in diesen Fällen auch eine elektronische Rechnung übermittelt werden. 4Auf Verlangen des Insolvenzverwalters oder des Insolvenzgerichts sind Ausdrucke, Abschriften oder Originale von Urkunden einzureichen. (4) 1Ist eine Anmeldung nach Absatz 1 Satz 1 aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die schriftliche Übermittlung oder mittels eines sicheren Übermittlungswegs im Sinne des § 130a der Zivilprozessordnung zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung des Insolvenzverwalters ist die Forderung nach Maßgabe des Absatzes 1 Satz 1 nachzureichen.
Als weitere Sofortmaßnahme sollte nach Ansicht des Gravenbrucher Kreis die Forderungsanmeldung in aller Regel digital erfolgen, bis sie mit Einführung einer entsprechenden Plattform (Abschlussbericht, S. 53 ff.; Münchener Thesen, S. 4 f.) zwingend digital erfolgen muss.
Mit digitalen Forderungsanmeldungen wird der Aufwand zur Erfassung der Daten deutlich reduziert. Da die Anmeldung über eine Eingabemaske bereits jetzt als anerkannte Übermittlungsform gilt (BT-Drs. 20/10943, S. 65; vgl. Abschlussbericht, S. 91 f.), kann hierüber bereits im Prozess der Anmeldung durch den Gläubiger eine Standardisierung erfolgen, die eine Befassung mit der einzelnen Forderungsanmeldung auf ein Minimum reduziert. So könnten etwa mittels Dropdown-Menü Forderungsgründe ausgewählt werden, die eine ggf. notwendige manuelle Anpassung nicht mehr erforderlich machen. Daneben werden Doppelstrukturen für den Übergangszeitraum zur ausschließlich digitalen Forderungsanmeldung über die vorgeschlagene Plattform bereits deutlich reduziert.
Eine schriftliche Forderungsanmeldung oder per sicherem Übermittlungsweg sollte nur noch möglich sein, wenn der Gläubiger aus vorübergehenden technischen Gründen verhindert ist, die Anmeldung nach Maßgabe des vorgeschlagenen Absatzes 1 Satz 1 zu übermitteln.
Nach Auffassung des Gravenbrucher Kreis sollten die notwendigen Schritte zur Herstellung eines vollwertig digitalen Insolvenzverfahrens nicht dadurch gebremst werden, dass einzelne Gläubigergruppen bei der Anmeldung ihrer Forderungen auf technische oder tatsächliche Hürden treffen (so aber: BT-Drs. 20/10943, S. 65 f.; ebenfalls für eine umfassende Nutzungspflicht auch durch Naturalparteien: Abschlussbericht, S. 43). Der Umgang mit dem Internet ist für den weit überwiegenden Großteil der Bevölkerung (94 %) – und damit beinahe aller Gläubigergruppen – Alltag (vgl. zur Verbreitung des Internets in Deutschland: Frind, ZInsO 2020, 1743, 1751 m. w. N.). Das Ziel der gemeinschaftlichen Befriedigung aller Gläubiger kann dadurch erreicht werden, dass die betroffenen Gläubigergruppen entsprechende Unterstützung bei der Anmeldung in Anspruch nehmen.
3. Niederlegung der Tabelle
§ 175 Abs. 1 InsO a.F. § 175 Abs. 1 InsO n.F.
(1) 1Der Insolvenzverwalter hat jede angemeldete Forderung mit den in § 174 Abs. 2 und 3 genannten Angaben in eine Tabelle einzutragen. 2Die Tabelle ist mit den Anmeldungen sowie den beigefügten Urkunden innerhalb des ersten Drittels des Zeitraums, der zwischen dem Ablauf der Anmeldefrist und dem Prüfungstermin liegt, in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen. (1) 1Der Insolvenzverwalter hat jede angemeldete Forderung mit den in § 174 Abs. 2 und 3 genannten Angaben in eine Tabelle einzutragen. 2Die Tabelle ist mit den Anmeldungen sowie den beigefügten Urkunden innerhalb des ersten Drittels des Zeitraums, der zwischen dem Ablauf der Anmeldefrist und dem Prüfungstermin liegt, in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen. 3Der Insolvenzverwalter hat die Anmeldungen sowie die den Anmeldungen beigefügten Urkunden zur elektronischen Einsicht zur Verfügung zu stellen.
Die Niederlegung ermöglicht den Gläubigern die Prüfung, ob sie gegen eine von einem anderen Gläubiger angemeldete Forderung Widerspruch erheben wollen. Zudem kann sich der Schuldner einen Überblick über die gegen ihn erhobenen Ansprüche verschaffen.
Nach § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO ist die Tabelle mit den Anmeldungen sowie den beigefügten Urkunden in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts niederzulegen. Entgegen der Entscheidung des AG Leipzig (ZIP 2017, 1683, 1684) ist nach derzeitiger Rechtslage – auch in Großverfahren – die Tabelle mit den Anmeldeunterlagen beim Insolvenzgericht niederzulegen.
In Insolvenzen mit einer Vielzahl von Gläubigern hat die Niederlegung Umzugscharakter und führt bei den Gerichten oftmals zu räumlichen Kapazitätsengpässen. Im Zuge der weiteren Digitalisierung schlägt der Gravenbrucher Kreis vor dem Hintergrund der gerichtlichen Beurkundungs- und Titulierungsfunktion vor, dass nur noch die Tabelle niederzulegen ist. Die Prüfung der Gläubiger, ob sie gegen eine von einem anderen Gläubiger angemeldete Forderung Widerspruch erheben wollen, sollte digital über das Gläubigerinformationssystem erfolgen können.
4. Entlastung der Schuldner bei Insolvenzantragsstellung
§ 13 Abs. 1 InsO a.F. § 13 Abs. 1 InsO n.F.
(1) 1Das Insolvenzverfahren wird nur auf schriftlichen Antrag eröffnet. 2Antragsberechtigt sind die Gläubiger und der Schuldner. 3Dem Antrag des Schuldners ist ein Verzeichnis der Gläubiger und ihrer Forderungen beizufügen. 4Wenn der Schuldner einen Geschäftsbetrieb hat, der nicht eingestellt ist, sollen in dem Verzeichnis besonders kenntlich gemacht werden
1.die höchsten Forderungen,
2.die höchsten gesicherten Forderungen,
3.die Forderungen der Finanzverwaltung,
4.die Forderungen der Sozialversicherungsträger sowie
5.die Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung.
5Der Schuldner hat in diesem Fall auch Angaben zur Bilanzsumme, zu den Umsatzerlösen und zur durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer des vorangegangenen Geschäftsjahres zu machen. 6Die Angaben nach Satz 4 sind verpflichtend, wenn
1.der Schuldner Eigenverwaltung beantragt,
2.der Schuldner die Merkmale des § 22a Absatz 1 erfüllt oder
3.die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses beantragt wurde.
7Dem Verzeichnis nach Satz 3 und den Angaben nach den Sätzen 4 und 5 ist die Erklärung beizufügen, dass die enthaltenen Angaben richtig und vollständig sind. (1) 1Das Insolvenzverfahren wird nur auf schriftlichen Antrag eröffnet. 2Antragsberechtigt sind die Gläubiger und der Schuldner. 3Dem Antrag des Schuldners ist ein Verzeichnis der Gläubiger und ihrer Forderungen beizufügen, es sei denn, der Schuldner ist nach § 238 des Handelsgesetzbuches zur Buchführung verpflichtet und hat einen Geschäftsbetrieb, der nicht eingestellt ist. 4In diesem Fall ist dem Antrag des Schuldners stattdessen eine Übersicht beizufügen, aus der sich
1.die höchsten Forderungen,
2.die höchsten gesicherten Forderungen,
3.die Forderungen der Finanzverwaltung,
4.die Summe der Forderungen der Arbeitnehmer und Sozialversicherungsträger, sowie
5.die Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung sowie
6. die Summe der Forderungen der Gläubiger aus Lieferungen und Leistungen
ergibt. 5Der Schuldner hat zudem Angaben zur Bilanzsumme, zu den Umsatzerlösen und zur durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer des vorangegangenen Geschäftsjahres zu machen. 5Die Angaben nach Satz 3 sind verpflichtend, wenn
1.der Schuldner Eigenverwaltung beantragt,
2.der Schuldner die Merkmale des § 22a Absatz 1 erfüllt oder
3.die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses beantragt wurde.
5Den Angaben nach den Sätzen 3 bis 5 ist die Erklärung beizufügen, dass die enthaltenen Angaben richtig und vollständig sind.
Die derzeitige Regelung des § 13 Abs. 1 InsO sieht vor, dass dem Antrag des Schuldners ein Verzeichnis der Gläubiger und ihrer Forderungen beizufügen ist. Die Regelung geht zurück auf das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7. Dezember 2011 (BGBl. I 2582; Berichtigung vom 19. Dezember 2011, BGBl. I 2800) und soll einen ordnungsgemäßen Ablauf des Insolvenzverfahrens gewährleisten, indem das Gericht die hierdurch bekannten Gläubiger bereits in einem frühen Verfahrensstadium einbeziehen kann (BT-Drs. 17/5712, S. 22 f.).
In der Praxis stellt sich diese Regelung für buchführungspflichtige Schuldner als Herausforderung dar, weil die gängigen Buchhaltungsprogramme von DATEV bis SAP kein qualifiziertes, digitales Gläubigerverzeichnis erstellen können. Daher müssen die Schuldner in der Praxis aufwändig händisch ein solches Verzeichnis erstellen, das ein „analoger Papierstapel“ ist. Vereinzelte Insolvenzgerichte neigen zudem dazu, Insolvenzanträge ohne vollständiges qualifiziertes Gläubigerverzeichnis nach § 13 Abs. 3 InsO nach einer fruchtlos verstrichenen Frist zur Behebung zurückzuweisen. Diese Auslegung des § 13 Abs. 1 InsO ist nachteilig für die Interessen der betroffenen Gläubiger, Arbeitnehmer und Schuldner. In gläubigerintensiven Großinsolvenzen, insbesondere von Reiseveranstaltern, durch Anleger finanzierte Unternehmen oder Finanzdienstleistern, stellt dies im Vergleich zum Nutzen sogar einen vollkommen außerhalb der Relationen stehenden Aufwand und eine das Verfahren nicht fördernde Formalie dar. Hinzu kommt, dass beispielsweise bei börsennotierten Anleihen und anderen Finanzierungsinstrumenten die Gläubiger dem Schuldner namentlich nicht bekannt sind.
Zukünftig sollte bei Schuldnern, die ihren Geschäftsbetrieb fortführen, im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung nach Ansicht des Gravenbrucher Kreis die Information an das Insolvenzgericht darüber ausreichen, welche Gläubigerstruktur der Schuldner hat. Auch dem Zweck, frühzeitig mögliche Mitglieder eines vorläufigen Gläubigerausschusses zu benennen, genügen die Angaben aus dem (zu erweiternden) Katalog des Absatz 1 Satz 4. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass über das Vermögen von Schuldnern, die zum Zeitpunkt der Antragsstellung den Betrieb fortführen, in aller Regel die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet wird und es ohnehin zu den Kernaufgaben des vorläufigen Insolvenzverwalters gehört, die Vermögensverhältnisse aufzuarbeiten. Ferner ist die zum Zeitpunkt der Insolvenzantragsstellung eingereichte Gläubigerliste – bei Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung – zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits veraltet. Daher ist es auch schon heute gängige Praxis, dass die Gläubigerliste vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens neu erstellt wird.
Für Schuldner ohne laufenden Geschäftsbetrieb und für solche, die nicht gemäß § 238 HGB buchführungspflichtig sind, bleibt es bei der derzeitigen Gesetzeslage.
Durch die Neuregelung wird nach Ansicht des Gravenbrucher Kreis eine bis zur Volldigitalisierung des Insolvenzverfahrens analoge Regelung dahingehend modifiziert, dass der analoge Aufwand auf das zur Erreichung des Normzwecks notwendige Maß reduziert wird.
5. Virtuelle Gläubigerversammlung
§ 74a InsO a.F. § 74a InsO n.F.
(1) 1Das Gericht kann anordnen, dass die Gläubigerversammlung ohne physische Präsenz der Teilnahmeberechtigten abgehalten wird (virtuelle Gläubigerversammlung). Davon ausgenommen sind auf Antrag des Insolvenzverwalters oder Sachwalters Termine nach §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 235.
(2) Wird eine virtuelle Gläubigerversammlung abgehalten, sind die folgenden Voraussetzungen einzuhalten:
1. die gesamte Versammlung wird mit Bild und Ton übertragen; § 4 Satz 2 gilt entsprechend;
2. die Stimmrechtsausübung der Gläubiger ist im Wege elektronischer Kommunikation, namentlich über elektronische Teilnahme oder elektronische Briefwahl, sowie über Vollmachtserteilung möglich;
3. den Gläubigern wird das Recht eingeräumt, Anträge in der Versammlung im Wege der Videokommunikation zu stellen;
4. den Teilnahmeberechtigten wird ein Rederecht in der Versammlung im Wege der Videokommunikation eingeräumt.
Seit Art. 5 Nr. 4 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Gesetz vom 22. Dezember 2020, BGBl. I S. 3256) am 1. Januar 2021 in Kraft getreten ist, gilt gemäß § 4 Satz 2 InsO im Insolvenzverfahren § 128a ZPO mit der Maßgabe, dass bei Gläubigerversammlungen sowie sonstigen Versammlungen und Terminen die Beteiligten in der Ladung auf die Verpflichtung hinzuweisen sind, wissentliche Ton- und Bildaufzeichnungen zu unterlassen und durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Dritte die Ton- und Bildübertragung nicht wahrnehmen können.
Wie sich aus der entsprechenden Anwendung von § 128a ZPO ergibt, muss der Versammlungsort immer ein vom Insolvenzgericht bestimmter, der physischen Teilnahme zugänglicher Ort sein. Es sind also ausschließlich „hybride“ Gläubigerversammlungen möglich. Dabei liegt es im Ermessen des Insolvenzgerichts, über die Art der Durchführung der Versammlung zu entscheiden, ohne dass diese Entscheidung anfechtbar ist (§ 128a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 ZPO i. V. m. § 4 Satz 2 InsO). Das Insolvenzgericht kann zudem die Option der Teilnahme „von einem anderen Ort“ allen oder auch nur einzelnen Teilnahmeberechtigten einräumen (BT-Drs. 19/24181, S. 192).
Aus Sicht des Gravenbrucher Kreises sollte neben der hybriden Gläubigerversammlung die Option einer rein virtuellen Gläubigerversammlung, ohne hybride Elemente, geschaffen werden.
In Gläubigerversammlungen werden wichtige und erforderliche Entscheidungen getroffen. Jedoch nehmen erfahrungsgemäß keine oder nur sehr wenige Personen an Gläubigerversammlungen teil, da der zu erwartende Nutzen einer Teilnahme in keinem Verhältnis zu den dadurch verursachten Kosten steht (Jungmann/Windau, NZI 2021, 849, 850). Die in den Versammlungen getroffenen Entscheidungen sind daher im Ergebnis nicht wirklich durch ein Votum der Gläubigerschaft legitimiert, sondern regelmäßig höchstens durch einen sehr geringen Anteil.
Bei der Durchführung von rein virtuellen Gläubigerversammlungen ist zu erwarten, dass mehr Gläubiger teilnehmen als an Präsenzterminen (Schmittmann, RDi 2021, 34, 39; Braegelmann/Horstkotte/Martini, ZInsO 2020, 729, 730). Virtuelle Gläubigerversammlungen können also die Gläubigerkommunikation und -partizipation effektiv verbessern. Gleichzeitig lässt sich der doppelte Aufwand, der durch die gleichzeitige Durchführung der Versammlungen in Präsenz und virtuell entsteht, reduzieren. Jedenfalls der Berichts- und Prüfungstermin als auch der Erörterungs- und Abstimmungstermin sollten aber auf Antrag des Insolvenzverwalters oder Sachwalters in Präsenz erfolgen. Bei diesen verfahrensleitenden Terminen kann es sinnvoll sein, die Gläubiger räumlich zu versammeln, mit ihnen in direkten Kontakt zu treten und auch den Ausschluss der Öffentlichkeit verlässlich sicherzustellen (vgl. Frind, ZInsO 2020, 1743, 1745 ff.; Schmittmann, RDi 2021, 34 Rn. 45 ff.). Ob dieses sinnvoll ist, wird nur der Insolvenzverwalter bzw. der Sachwalter auf Grundlage seiner Gespräche und Eindrücke über das zu erwartende Verhalten von einzelnen Gläubigern und Gläubigergruppen bewerten können. Eine Begründungspflicht des Antrags hält der Gravenbrucher Kreis nicht für erforderlich.
Durch die mit § 1 Abs. 2 COVMG gesammelten Erfahrungen in Bezug auf die Durchführung von virtuellen Hauptversammlungen hat sich gezeigt, dass solche Versammlungen rechtssicher durchgeführt werden können. Die Versammlungen konnten zudem störungsfrei durchgeführt werden (RegE, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung virtuelle Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung weiterer Vorschriften, BT-Drs. 20/1738, S. 16). Der Gesetzgeber hat daher durch das Einfügen eines § 118a AktG die dauerhafte Möglichkeit von virtuellen Hauptversammlungen geschaffen (Gesetz vom 20. Juli 2022, BGBl. I S. 1166).
Diese positive Entwicklung in Richtung der Digitalisierung sollte auf die Insolvenzordnung übertragen werden. Daher schlägt der Gravenbrucher Kreis die Einfügung eines neuen § 74a InsO vor.
5. Schlussbetrachtung
Die Reformbestrebungen des Bundesministeriums der Justiz zur weiteren Digitalisierung des Insolvenzverfahrens werden vom Gravenbrucher Kreis ausdrücklich begrüßt. Die Handlungsempfehlungen des Abschlussberichts und die Münchener Thesen legen den Grundstein dafür.
Minimalinvasive Änderungen der Insolvenzordnung können nach Auffassung des Gravenbrucher Kreis binnen kürzester Zeit zu erheblichen Digitalisierungseffekten führen. Diese sind auch dringend notwendig, um das Insolvenzverfahren in das digitale Zeitalter zu überführen. Medien- und Systembrüche sollten konsequent beseitigt werden, um das Potenzial der Digitalisierung umfänglich auszunutzen. Digitale Zustellungen, digitale Forderungsanmeldungen, verminderte Niederlegungspflichten, die Reduktion von Aufwand bei der Stellung eines Insolvenzantrags eines nicht eingestellten Unternehmens, der sich in der Praxis als überflüssig erwiesen hat, und die Implementierung der Möglichkeit einer virtuellen Gläubigerversammlung bilden hierfür den Anfang.