Experten der TMA Deutschland unterstützen längere Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung bis März 2021

24.08.2020

· Belastbare Fortbestehensprognose bis 30. September für viele sanierungsfähige Unternehmen nicht zu leisten

· Gesetzgeber gewinnt Zeit, die EU-Restrukturierungsrichtlinie umzusetzen

· Überschuldung als zwingender Antragsgrund schafft mehr Probleme als sie löst

Frankfurt a.M., 18. August 2020

Mit dem COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) hat die Bundesregierung die strengen Insolvenzantragspflichten für Unternehmensleiter von Kapitalgesellschaften bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung ihrer Unternehmen bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Mit Blick auf die fortdauernde Unsicherheit über die weitere Entwicklung sprechen sich Mitglieder der TMA Deutschland dafür aus, die Aussetzung der Antragspflicht wegen Überschuldung – nicht aber bei Zahlungsunfähigkeit – über den 30. September 2020 hinaus zu verlängern.

Aus Sicht der Restrukturierer besteht die begründete Sorge, dass sich Geschäftsleiter einer Vielzahl sanierungsfähiger Unternehmen gezwungen sehen werden, am 1. Oktober 2020 Insolvenzantrag zu stellen, weil sie keine belastbare positive Fortbestehensprognose treffen können. Denn viele Geschäftsleiter werden bis zum 30. September noch nicht mit der erforderlichen Sicherheit absehen können, ob ihr Unternehmen für das laufende und das folgende Geschäftsjahr so durchfinanziert ist, dass in dieser Periode keine Zahlungsunfähigkeit droht. Sie werden dann eher Insolvenz beantragen, als mit der Fortführung des Unternehmens verbundene persönliche Haftungsrisiken einzugehen. Die Folge wird eine Vielzahl wertvernichtender Insolvenzen sein, für die weder die Gerichte noch die Insolvenzverwalter mit hinreichenden Kapazitäten ausgestattet sind.

Die Restrukturierungsexperten in der TMA Deutschland sprechen sich daher für Folgendes aus:

1. Die Antragspflicht wegen Überschuldung sollte weiter ausgesetzt bleiben, bis sich die Verhältnisse soweit stabilisiert haben, dass den Unternehmensleitern wieder eine belastbare Prognose für die Fortführung ihres Unternehmens möglich ist.

2. Die ohne eine weitere Aussetzung der Antragspflicht im Herbst zu befürchtende Insolvenzantragswelle würde erhebliche volks- und betriebswirtschaftliche Schäden verursachen. Für den professionellen Umgang mit einer solchen Welle sind weder die Gerichte gerüstet, noch werden ausreichend erfahrene Insolvenzverwalter mit freien Kapazitäten verfügbar sein.

3. Eine Insolvenzantragswelle im Herbst 2020 wäre nicht nur wert- und arbeitsplatzvernichtend. Sie würde auch den von der Antragspflicht gewollten Gläubigerschutz konterkarieren, weil sie sanierungsfähige Unternehmen ebenso treffen würde wie nicht sanierungsfähige Unternehmen.

4. Mit der Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis Ende März 2021 gewinnt der Gesetzgeber die nötige Zeit, die EU-Restrukturierungsrichtlinie in deutsches Recht umzusetzen. Sanierungsfähige Unternehmen können dann mit den Stimmen der Mehrheit ihrer Gläubiger auch außergerichtlich um- oder entschuldet und ertragswirtschaftlich neu aufgestellt werden.

5. Den Vorhalt, es sei „widersinnig“, wenn gerade in Zeiten der pandemiebedingten Wirtschaftskrise lediglich aufgrund des COVInsAG kaum Insolvenzanträge gestellt werden, halten die TMA Experten für verfehlt. Die relevante Frage sei, ob eine Antragspflicht mangels belastbarer Fortbestehensprognose sowohl volkswirtschaftlich als auch aus Gläubigerschutzerwägungen zwingend geboten wäre. Zahlungsunfähige Unternehmen müssen unbestritten Insolvenzantrag stellen. Unternehmen, die noch nicht zuverlässig planen können, sollten aber mehr Zeit bekommen, ihr Geschäfts- und gegebenenfalls ihr Finanzierungsmodell auf die veränderten Umstände anzupassen.

6. Nicht nur mit Blick auf die Vorgaben aus der EU, sondern grundsätzlich ist ein Paradigmenwechsel hin zu einer stärkeren Berücksichtigung der Gläubigerinteressen in der Krise geboten: der shift of fiduciary duties in the zone of insolvency, also die Re-Fokussierung vom Primat der Interessen der Anteilseigner hin zu den Interessen der Gläubiger bei Eintritt konkret zu definierender Krisensymptome. Daher sollte der Gesetzgeber erwägen, bei Wegfall einer Fortbestehensprognose den Organen eines Unternehmens in der Krise für einen betriebswirtschaftlich seriös planbaren Zeitraum das Recht einzuräumen, mit den wesentlichen Gläubigern konsensuale Lösungsmöglichkeiten zu erörtern. Erforderlichenfalls sollten die Geschäftsleiter auch berechtigt sein, ohne das Plazet der Gesellschafter und ohne sich unkalkulierbaren Haftungsrisiken auszusetzen, Insolvenzantrag zu stellen, um ihr Unternehmen unter Nutzung der Instrumente des Insolvenzrechts neu aufstellen zu können. Die Überschuldung als zwingender Antragsgrund – ein Relikt des deutschen Konkursrechts – schafft hingegen deutlich mehr Probleme als sie löst.

7. Statt die Überschuldung als Antragsgrund abzuschaffen, wäre auch eine Verkürzung des Prognosezeitraums für die positive Fortführungsprognose vorstellbar. So hat sich eine 13-Wochen Liquiditäts-Vorschau, die auch KMUs möglich ist, als Planungsinstrument in Restrukturierungssituationen sehr bewährt.

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