Stellungnahme des Gravenbrucher Kreises zum Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (Formulierungshilfe der Bundesregierung)

23.03.2020

Stand: 22. März 2020

Sehr geehrte Ministerinnen und Minister, sehr geehrte Staatssekretärinnen und Staatssekretäre, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

dem Gravenbrucher Kreis liegt seit dem gestrigen Samstag der o.g. Gesetzesentwurf vor. Diesen begrüßen wir in seiner Fassung vom 20. März 2020, 21:12 Uhr ausdrücklich. Er ist unseres Erachtens ein richtiger und wichtiger Baustein, um die deutsche Wirtschaft in dieser schwierigen Phase zu stärken und den Menschen Ängste vor einem Arbeitsplatzverlust zu nehmen. Die Fassung vom 20. März 2020, 21:12 Uhr liegt dieser Stellungnahme zugrunde und wird daher im Weiteren kommentiert. Darüber hinaus liegt dem Gravenbrucher Kreis eine weitere Fassung des o.g. Gesetzesentwurfs vom 21. März 2020, 18:14 Uhr vor. In dieser Fassung des Gesetzesentwurfs soll die Regelungen in Artikel 5, Artikel 240 EGBGB, dort § 1 und § 3 ausschließlich auf Verbraucher Anwendung finden. Diese zwischen dem 20. März 2020, 21:12 Uhr und dem 21. März 2020, 18:14 Uhr vorgenommene Einschränkung der Regelung zum Moratorium und der Regelungen zum Darlehensrecht springen zu kurz, wenn der Wirtschaft wirklich geholfen werden soll. Aus diesem Grunde ist die Einschränkung auf Verbraucher aus Sicht des Gravenbrucher Kreises dringend wieder auch auf Unternehmen und somit der Gesetzesentwurf auf die Fassung vom 20. März 2020, 21:12 Uhr zurückzudrehen.

Im ersten Teil dieser Stellungnahme erlaubt sich der Gravenbrucher Kreis, einige wenige Verbesserungsvorschläge zu dem Gesetzesentwurf zu unterbreiten. Im zweiten Teil der Stellungnahme erlaubt sich der Gravenbrucher Kreis Anregungen für weitere Unterstützungsmaßnahmen für die deutsche Wirtschaft zu geben:

I. Stellungnahme zum Gesetzesentwurf Die vorgesehenen Maßnahmen erscheinen grundsätzlich ausgewogen. Sie spannen einen ausgewogenen Schutzschirm für die Wirtschaft und „frieren“ den Stand der Wirtschaft vor dem 8. März 2020 ein. Wenn der Schutzschirm aber in diesem Sinne greifen soll, dann muss die ab dem 8. März 2020 beginnende „Neuwirtschaft“ den gleichen Gläubigerschutz erhalten, wie die Wirtschaft vor der COVID-19-Pandemie. Hierauf beziehen sich die Änderungen unter den Ziffern 1 bis 4 dieses 1. Teils der Stellungnahme. Ferner erscheint es grundsätzlich richtig, dass bei einem derart schnell zu verabschiedenden Gesetz auch Missbrauchstatbestände nicht vollends ausgeschlossen werden können. Jedoch sollte wenigstens der in der nachfolgenden Ziffer 5 unterbreitete Vorschlag umgesetzt werden, um einen Missbrauch möglichst zu unterbinden. Unter Ziffer 6 nehmen wir zudem zur Verordnungsermächtigung Stellung.

1. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, warum in Artikel 1 § 1 auf den 31. Dezember 2019 abgestellt wird. Angemessener wäre es unseres Erachtens, nicht auf den Bilanzstichtag/Ende des letzten Geschäftsjahres (dieser technische Grund kann an dieser Stelle vernachlässigt werden), sondern auf den 29. Februar 2020, mindestens aber auf den 31. Januar 2020, abzustellen, damit es keine bzw. weniger „Trittbrettfahrer“ gibt. Dies gilt insbesondere auch in Anbetracht des weiten Schutzes des Art. 1 § 2. Auch vor dem Hintergrund des Datums 1. März 2020 in Art. 1 § 3 erscheint der 29. Februar 2020 deutlich angemessener, so dass die im Gesetzesentwurf enthaltenen Fristen auch aufeinander abgestimmt wären.

2. Art. 1 § 3 benachteiligt unseres Erachtens eine Gläubigergruppe unangemessen, was möglicherweise übersehen wurde. Dies betrifft die Gläubiger, die mit dem Schuldner einen nach Art. 5, Art. 240, § 1 Abs. 1 geschützten Vertrag geschlossen haben, also einen solchen Vertrag, der nicht dem Moratorium unterliegt, weil er nach dem 8. März 2020 geschlossen wurde („Neugeschäft“). Es erscheint angemessen, Art. 1 § 3 zum Schutze der Wirtschaft nachzuschärfen, beispielsweise durch den zusätzlichen folgenden Halbsatz: „[…] oder sich der Eröffnungsgrund aus Verbindlichkeiten ergibt, für die ein Leistungsverweigerungsrecht, eine Stundung oder eine Beschränkung der Kündigungsrechte nach Artikel 5, Art. 240 EGBGB keine Anwendung findet.“. Durch diese Ergänzung würde sichergestellt, dass im Fall des Eintritts einer „Neuinsolvenzreife“ jedenfalls ein Gläubigerantrag möglich wäre.

3. Angemessen erscheint es vor dem Hintergrund der Ausführungen unter vorstehender Ziffer 2 auch Artikel 1 § 1 in dem vorstehenden Sinne zu schärfen. Daher der folgende Ergänzungsvorschlag für § 1: „Der bisherige Text wird Absatz 1; Absatz 2 könnte wie folgt lauten: Abs. 1 findet keine Anwendung, wenn die Zahlungsunfähigkeit auf Verbindlichkeiten beruht, für die ein Leistungsverweigerungsrecht, eine Stundung oder eine Beschränkung der Kündigungsrechte nach Artikel 5, Art. 240 EGBGB keine Anwendung findet.“. 4. Art. 5, Art. 240 EGBGB, § 1 Abs. 1 in der uns vorliegenden Fassung vom 20. März 2020, 21:12 Uhr, benachteiligt den Vertragspartner unangemessen, der zwar einen auf Dauer angelegten Dienstleistungs- oder Liefervertrag abgeschlossen hat, bei dem der Dienstleister oder Lieferant weiß, dass die vor dem 8. März 2020 erbrachten Lieferungen und Leistungen nicht gezahlt werden, er aber darauf setzt und zumindest konkludent vereinbart ist, dass die ab diesem Zeitpunkt erbrachten Lieferungen und Leistungen wieder bezahlt werden. Insoweit sollte Art. 5, Art. 240, § 1 Abs. 1 wie folgt lauten: „Ein Schuldner hat das Recht, Leistungen zur Erfüllung eines Anspruchs, der im Zusammenhang mit einem Vertrag steht, der vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde und der eine vor dem 8. März 2020 erbrachte Leistung betrifft, bis zum 30. September 2020 zu verweigern […]“ Diese Ergänzung würde unseres Erachtens dem Moratoriumsgedanken deutlich gerechter.

5. Zum Schutz der Fremdkapitalgeber sollte Art. 1 § 2 Absatz 1 Nr. 4 wie folgt ergänzt werden: 4. sind Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung für Forderungen, die im Aussetzungszeitraum entstanden sind, gewähren oder ermöglichen, die dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar; die Anfechtungstatbestände der §§ 134, 135 InsO bleiben hiervon mit der Maßgabe unberührt, dass Leistungen auf oder die Besicherung von Forderungen eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder für eine gleichgestellte Forderung, die der Gesellschafter im Aussetzungszeitraum gewährt hat, nicht anfechtbar sind. Das Anfechtungsprivileg sollte sich nur auf das „Neugeschäft“ beziehen, hingegen nicht auf die Erfüllung von Altforderungen. Damit kann verhindert werden, dass Unternehmen ihre letzte Liquidität dazu verwenden, um in unanfechtbarer Weise „Altgläubiger“ zu bedienen.

Gleichzeitig ist zu verhindern, dass Gesellschafter oder Dritte die nun staatlich zur Verfügung gestellten Mittel verwenden, um ihre Gesellschafterfinanzierung zu tilgen.

6. Die in Art. 1 § 4 vorgesehene Verordnungsermächtigung sollte ersatzlos gestrichen werden. Wenn es einer Verlängerung bedarf, dann soll diese durch den Gesetzgeber erfolgen. Zu bedenken geben wir dabei, dass ein Hinauszögern der Insolvenzantragstellung bei Unternehmen über den 30. September 2020 hinaus nur dazu führen wird, dass die Unternehmen weiter an Substanz verlieren. Unternehmen ohne Substanz können aber im Insolvenzverfahren nicht mehr saniert werden. Aus diesem Grunde muss durch gesetzgeberische Maßnahmen auch sichergestellt sein, dass eine Sanierung nach der Beendigung der COVID-19-Pandemie – die hoffentlich im Herbst diesen Jahres eingetreten ist – auch im Insolvenzverfahren noch möglich ist.

7. Darüber hinaus sollte für die Dauer der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht der Anwendungsbereich des Schutzschirmverfahrens für Unternehmen (§ 270b InsO) während der COVID-19-Pandemie in der Form erweitert werden, dass Unternehmen auch bei einer durch die COVID-19-Pandemie verursachten Zahlungsunfähigkeit berechtigt sind, das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO zu beantragen, ohne dass es der Vorlage einer Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO bedarf. Das Schutzschirmverfahren hat sich in der Vergangenheit bei der Sanierung von Unternehmen, die im Wesentlichen nicht eigenverschuldet in die Krise geraten sind, als taugliches Sanierungsverfahren bewährt.

II. Weitere Unterstützungsmaßnahmen

1. Sollten Unternehmen aufgrund mangelnder Liquidität Insolvenz anmelden müssen und sollten in diesem Zuge positive Sanierungsaussichten für Unternehmen festgestellt werden, sollte die Zahlung von Insolvenzgeld für Beschäftigte auf einen Zeitraum von sechs Monaten verdoppelt werden.

2. Die bisherigen liquiditätsseitigen Steuerentlastungen für Unternehmen beziehen sich nach unserem Verständnis im Wesentlichen auf Ertragssteuern. Wir regen an darüber nachzudenken, ob die Löhne und Gehälter der Monate März bis jedenfalls Juni 2020 nicht dem Insolvenzgeld gleich als steuerbefreite Lohnersatzleistung qualifiziert werden, so dass sämtliche Unternehmen nicht mit Lohnsteuerzahlungen belastet sind und die Arbeitnehmer als Nachteil nur dem Insolvenzgeld gleich in eine andere Degression fallen.

3. Es ist auch darüber nachzudenken, ob staatliche Liquiditätshilfe in der Form geleistet wird, dass die Umsatzsteuerzahllasten sämtlicher Unternehmen für die Voranmeldungszeiträume März bis Juni 2020 zunächst gestundet werden und nach Beendigung der COVID-19Pandemie ein Modus der Rückführung in beispielsweise 24 gleich hohen Monatsraten gesetzlich geregelt wird.

Über den Gravenbrucher Kreis Im Gravenbrucher Kreis sind seit 1986 Vertreter führender Insolvenzkanzleien Deutschlands zusammengeschlossen, die sich durch umfassende Erfahrung und Kompetenz im Bereich überregionaler Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren auszeichnen. Die Mitglieder verpflichten sich zur Einhaltung höchster Qualitäts- und Leistungsstandards, die sie durch das exklusive, von unabhängigen Auditoren geprüfte Zertifikat InsO Excellence nachweisen. Der Kreis hat aktuell 29 Mitglieder (davon 22 aktive und sieben passive). Sprecher des Gravenbrucher Kreises ist seit März 2015 Prof. Dr. Lucas F. Flöther. Seit seiner Gründung sieht sich der Gravenbrucher Kreis gefordert, das Restrukturierungs- und Insolvenzrecht sowie angrenzende Rechtsgebiete aus Sicht der Praxis fortzuentwickeln. Darüber hinaus bringt der Gravenbrucher Kreis seine Erfahrung in grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen ein und beteiligt sich an der Fortentwicklung internationaler Standards und Regeln im Bereich der Restrukturierung. Der interdisziplinäre Erfahrungsaustausch und die gemeinsamen Diskussionen innerhalb des Gravenbrucher Kreises führen zu profunden Einschätzungen und fachkundigen Stellungnahmen. Diese genießen in der nationalen und internationalen Fachwelt des Restrukturierungs- und Insolvenzrechts hohe Anerkennung und finden in Gesetzgebungsverfahren Gehör. www.gravenbrucher-kreis.de

Frankfurt am Main, den 22. März 2020

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